Marienplatz de Compostela (German Edition)
gibt. War gerade oben gesessen, mit seinem weißen Hemdkrägelchen und ich habe darauf verzichtet ihm zu sagen, dass sein Kontakt mit Sicherheit kein Erotikanschubser war, sondern ziemlich sicher der dreiundzwanzigste Sohn eines Stammeskönigs mit etwa hundertdreißig Kilo auf den Rippen, der eben auch sehen muss, wo er bleibt, mit seinen sieben Frauen, und so. Und mit dem tollen Internet geht der Blick eben bis nach Taufkirchen, wo ein vereinsamter Geschäftsmann alleine vor einem Flachbildschirm sitzt und sich auf die große, weite Welt freut.«
»Das war aber jetzt nicht rassistisch«, fragte Bucher.
»Rassistisch? Wieso? Willst du mal die rassistische Version hören?«
Bucher stand auf und hielt sich die Ohren zu. Dabei sagte er »Nein, nein, nein, ich muss eh weiter und was arbeiten. Nur eine Frage. Wieso musst du so einen Pipifaxfall bearbeiten? Seid ihr nicht ausgelastet?«
Peter stöhnte. »Weil auf meiner Münchner Landkarte viele, viele rote Punkte aufleuchten, wo die schwarze Perle zugeschlagen hat – Giesing, Bogenhausen, viermal Nymphenburg, Gern, Taufkirchen, Ismaning … ich weiß nicht, was die im Chat so geschrieben hat, es muss aber besonders Münchner angeregt haben. Jetzt habe ich das Sammelverfahren an der Backe und die Typen fühlen sich echt als Opfer, die fühlen sich betrogen, stell dir das mal vor. Die hatten über Wochen wirklich die Illusion von Gold und einer afrikanischen Schönheit – daran kann man sich doch auch freuen?«
»Na ja … fünfzigtausend für eine Illusion? Ganz schöne Stange Geld.«
Peter stand nun auch auf. »Da gibt es noch viel teurere Illusionen, sag ich dir. Und wie lautet die schöne Frage auf dem Betrugslehrgang: Wie viel Kilo Blei braucht man für einhundertsiebzehn Kilo Gold? «
*
Die U-Bahn fuhr ein. Die Türen öffneten sich, begleitet vom gewohnten Zischen. Der Fahrer sprach nuscheliges Bayerisch. »Zusteign … auf geht’s da hintn … zruckbleim … nächster Halt … Schdieglmayrpltz.«
Bucher nahm vom Hauptbahnhof aus die S-Bahn. Es kam selten vor, dass er am Marienplatz unterwegs war. Heute erlebte er die Katakomben in seltener Einsamkeit. Er fühlte sich wohl im Gewölbe, dessen warmes Orange einen im Sommer kühlte und im Winter wärmte. Die Rolltreppe am Ausgang zur Kaufinger Straße schob ihn mitten hinein in die Menschenansammlung. Oben angekommen wimmelte er Flyerverteiler ab, die hier den günstigen Platz für sich entdeckt hatten. Als er sich nach Süden wendete und sein Blick über den Platz ging, war er überrascht. Wie lange war er schon nicht mehr hier gewesen? Eine lange Zeit, eine viel zu lange Zeit, denn diese Münchner Wohnstube kam ihm groß und großartig vor. Nichts erschien im altbekannt.
Die temporäre Einsamkeit des Gewölbes war dahin. Es wimmelte und wuselte. Über allen fotografierenden und filmenden Smartphones und iPads, über all den Einzelnen, den Gruppen und Paaren, schwebte strahlend – und mit echtem Gold überzogen – Maria auf ihrer Säule. Ein fröhliches, babylonisches Sprachgewirr hing wie ein Dunst über dem Platz, und die Blicke der Menschen tasteten das Erker-, Säulen- und Türmchengewirr der grandiosen Fassade des alten Rathauses ab. Ein Inder hielt ein iPad weit über seinen Kopf und filmte voller Glück im Gesicht ins Rund.
Aus der Kaufingerstraße blinkte ihn die kalt leuchtende Symbolfläche eines angebissenen Apfels an. Darunter, hinter zart getönten Glasscheiben, war ein ameisenhaftes Gewirr zu erkennen. Alle Altersstufen drängten sich, um ihre Finger über sanfte Glasoberflächen streichen zu lassen. Der Reiz lag wohl darin, dass dieses Streicheln eine sofort wahrnehmbare Wirkung erzeugte. Programmfenster bewegten sich geschmeidig, visuelle Effekte verzauberten die Augen. Schon aus der Ferne war der Erregungszustand zu spüren, den das alles auf die Menschen ausübte.
Bucher schlängelte sich über den Platz und suchte den Ort, an welchem Anne Blohm sich hatte fotografieren lassen. Er hatte die Stelle bald gefunden und blickte in Richtung Mariensäule. Dahinter erhoben sich die wundervollen Kuppeln des Doms, wie es sie schöner, bayerischer, wärmer und erotischer auf der ganzen Welt nicht mehr geben konnte. Die Stelle war beliebt für Fotografien. Eine amerikanische Reisegruppe posierte und machte schnell Platz für eine Gruppe Chinesen, dahinter standen die nächsten schon an.
Peter fiel ihm wieder ein: Du hast es gut, deine Opfer sind tot.
Gleich um die Ecke war der
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