Marienplatz de Compostela (German Edition)
einige Fragen gab, deretwegen sie hergekommen waren.
Siebl und Buntzl nahmen die Information professionell auf. Ersterer fragte: »Welche Fragen haben Sie denn zu stellen? Vielleicht wissen Sie es noch nicht, aber Frau Bohn ist nicht mehr hier beschäftigt. Sie hat vor einigen Wochen gekündigt.«
Hartmann zeigte sich erfreut. »Sehen Sie, Herr Siebl. Das ist nun schon eine gewichtige Information für uns.« Er kritzelte etwas in sein Notizbuch und Batthuber machte ein ernstes Gesicht dazu. Hartmann notierte: K ein Erschrecken, keine Trauer, kein Mitleid, keine Frage nach dem Schicksal von Anne Blohm
Dann fuhr er fort. »Ich muss gestehen, ich hatte von einer wohltätigen Einrichtung etwas anderes erwartet – bevor ich hierhergekommen bin. Womit genau sind Sie hier befasst – Pädagogik, Integration, Sozialisierung ?«
Siebl beugte sich nach vorne. Einige Strähnen seiner langen, schon stark ergrauten Haare glitten dabei sanft über die Schulter. »Steht Ihre Frage in Zusammenhang mit Ihrer Aufgabenerfüllung, oder ist das ein rein privates Interesse?«
Hartmann war nicht unvorbereitet. Das schlaffe Äußere dieses Menschen, der aussah wie eine müde weißhaarige Krähe, hatte ihn nicht von den schmalen, funkelnden Augen ablenken können, hinter denen die Hinterlist hauste. In sehr sachlichem Ton erläuterte er die Bedeutung von Hintergrundermittlungen im sozialen Umfeld als eine grundlegende Maßnahme kriminalistischer Arbeit.
Siebls Gesichtsausdruck verriet nicht, ob er mit den Ausführungen zufrieden war. Er beantwortete nun aber die Frage. »Wir helfen jenen Menschen, die durch widrige Lebensumstände aus ihrer Lebensbahn geworfen worden sind. Insbesondere konzentriert sich unsere Arbeit darauf, dass sie wieder Fuß fassen können, in dieser Gesellschaft, deren Geschwindigkeit nicht alle aufnehmen oder mit ihr mithalten können.«
Hartmann konterte mit Schärfe. »Okay, das ist eine unterstützenswerte Sache. Es bedeutet auch, dass alle Faulen und Nichtsnutze sich in anderen Einrichtungen befinden.«
Buntzl, der still dagesessen hatte und in Gedanken irgendwo im Puff war, wie Hartmann vermutete, schrak auf und sah ihn mit geweiteten Augen an.
Siebl blieb unbeeindruckt. »Wir haben zwei Ausrichtungen: Jugendliche, die im Berufsleben nicht Fuß fassen können, und Erwachsene, denen wir Hilfestellung geben, um zu einem halbwegs geordneten Leben zurückzufinden. Das geschieht auch an zwei unterschiedlichen Orten, unseren Intensivzentren. Falls Sie den Eindruck haben, es handele sich dabei um soziale Streichelzoos, so täuschen Sie sich. Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, gerade den Jugendlichen Grundkompetenzen zu vermitteln: Frustrationstoleranzen, Disziplin, Selbstachtung.«
Siebl hatte erkannt, wen er mit Hartmann vor sich hatte. Der fragte: »Worin bestanden Anne Blohms Aufgaben?«
»Sie hatte hervorragende Referenzen und sollte hier den Geschäftsbereich Finanzen übernehmen.«
»Sollte?«
Siebl lächelte matt. »Sie hat diesen Bereich verantwortet, ja …«
»… aber sie war nur ein gutes Jahr bei Ihnen beschäftigt«, unterbrach ihn Hartmann, um etwas nervig zu werden.
»Ja. Sie hat sich nicht sonderlich wohlgefühlt und wollte dann eben diese Reise unternehmen … Selbstfindung vielleicht … eine Form der Glaubensäußerung … ich weiß es nicht.«
»Mit wem hatte sie hier im beruflichen Umfeld engeren Kontakt?«
»Es gab da keine engere Beziehung, wenngleich ich enger nicht recht definieren kann.«
Hartmann ließ es sein, Erklärungen zu suchen, denn die schlaue Krähe wusste genau, was er mit seiner Frage gemeint hatte. Er legte eine Kunstpause ein, sah dabei nachdenklich auf seinen Notizblock. »Also ich verstehe das nicht. Aus welchem Grund diese Trennung von Verwaltung und diesen Kursen, Projekten, Therapiegruppen … ich weiß nicht, wie das benannt wird, Sie wissen, was ich meine? Das ist hier am Rande der Stadt in einem modernen Bürokomplex und damit doch recht entfernt von den zwei Orten, an denen diese soziale Arbeit stattfindet. Verzeihen Sie die Frage eines Laien, aber aus welchem Grund hat man sich für die räumliche Trennung entschieden?«
Siebl sah ihn scharf an. »In der räumlichen Trennung finden sich auch erhebliche Aspekte von Effektivität. Man ist nicht abgelenkt und mit Dingen befasst, die nicht zum eigenen Verantwortungsbereich gehören, zudem entknotet die Distanz gewisse Schwierigkeiten im Umgang mit Mitarbeitern, zwischenmenschliche Probleme
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