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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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flattern, doch sie wacht nicht auf. Schlaf, beschwört er sie, schlafe sanft, es ist noch zu früh.
    Bald, stellt er sich vor, wird er sie begleiten auf den nächtlichen Reisen tief hinein ins Innere der Seele. Tags wird er den Weg beschreiben, den sie nachts gemeinsam gehen, Hand in Hand, zwei Köpfe auf einem Kissen, er muss möglich sein, dieser vollkommene Einklang. Er kann es kaum erwarten, doch es braucht noch etwas Zeit. Sie braucht noch etwas Zeit. Er ist zu ungeduldig, diesmal. Dabei zeichnet ihn nichts so sehr aus wie seine Geduld: Wer etwas wirklich begehrt, kann darauf warten, egal, wie lang es dauert, Jahre, Jahrzehnte, ein Leben. Die süße Folter Vorfreude auskosten bis zum letzten Tropfen.
    Jetzt rollt sie sich zusammen. Gedanklich ahmt er sie nach, legt seinen Kopf an ihre Füße, und sie bilden einen makellosen Kreis, Yin und Yang, zwei Teile eines Ganzen, unwiderruflich. Noch nicht. Noch nicht ganz.
    Sachte zieht er die Decke wieder über sie und schleicht hinaus. Sie wird lernen, ihn zu lieben. Oder sterben.

13
    Antonia ging in die Küche. Vor lauter Lesen hatte sie gar nicht gemerkt, wie hungrig sie war, doch nun knurrte ihr Magen ganz schön laut. Sie schmierte sich ein paar Brote und aß im Stehen, etwas, das ihre Mutter nicht dulden würde, aber sie war nicht hier und konnte sie nicht rügen.
    Am ersten Tag, überlegte sie, hatte sie es genossen, auf der Insel zu sein. Das Haus lag eingebettet in Dünen und abgelegen, die Einsamkeit war ihr willkommen. Sie konnte keine Menschen aushalten, ihr erster Schultag nach Kathrins Tod war grauenhaft gewesen, sie hatte nur rumgeheult und sich schließlich nach Hause schicken lassen. Frank hatte sie getröstet und vorgeschlagen, nach Langeoog in das Haus eines Freundes zu fahren, die Luft, das Meer würden ihr guttun, und sie könne sich von allem erholen; ihre Mutter würde morgen nachkommen, der Freund sie herbringen, wenn er kurz nach dem Rechten schaute, und so hatte sie eingewilligt.
    Schon das Packen war aufregend gewesen, du brauchst nicht viel, hatte Frank gesagt, warme Klamotten, sonst nichts, keinen Computer, kein Handy, ein Netz gebe es sowieso nicht. Ihr erster Urlaub, abgesehen von Klassenfahrten jedenfalls, ihre Mutter, klar, so was hätte die nicht auf die Reihe gekriegt. Dann waren sie nach Bensersiel gefahren, hatten das Auto auf einem Langzeitparkplatz abgestellt und gerade noch die Fähre erwischt. Sie war an Deck geblieben, trotz der lausigen Kälte, die ihr bis auf die Knochen gedrungen war, und hatte gehofft, der Kapitän wüsste, wo’s langgeht, denn rundherum war nur Nebel. Grau, alles war grau, Nebel und Wellen und die Gesichter der wenigen Menschen an Bord. Der salzige Geschmack auf den Lippen kam diesmal nicht von Tränen, und die Überfahrt war viel zu schnell vorbei gewesen. Sie hätte einfach sitzen bleiben mögen, hin- und herfahren, bis sie nicht mehr traurig war.
    Mit der Inselbahn ins Landesinnere zu fahren, war ihr wie ein weiteres Abenteuer vorgekommen, und sie hatte sich am Fenster des Zuges fast die Nase platt gedrückt, was nicht wirklich geholfen hatte, denn der Nebel hatte die Außenwelt fortgewischt. Am Bahnhof waren sie dann auf eine Kutsche umgestiegen, und das war das Größte überhaupt. Sie hatte sich echt Mühe geben müssen, nicht die ganze Fahrt über auf und ab zu hüpfen wie ein kleines Kind. Frank hatte es gemerkt und sich einen gegrinst.
    Das Haus schließlich hatte sie sich völlig anders vorgestellt, mehr wie ein Ferienhaus und nicht so normal und mit allem Drum und Dran. Gut, was wusste sie schon, wie Ferienhäuser auszusehen hatten, aber dieses war alt, die Möbel so altmodisch wie ihre zu Hause auch, und es gab Bücher und Bilder an den Wänden, Zeug, was man so hinstellte, und sie hatte sich augenblicklich wohlgefühlt.
    Am zweiten Tag hatte Frank morgens mit dem Fahrrad Brötchen geholt und berichtet, er habe mit ihrer Mutter gesprochen. Sie könne noch nicht kommen, die Polizei brauche sie noch. Nach dem Frühstück war er wieder losgefahren. Sie hatte keine Lust gehabt, ihn zu begleiten, zu ungemütlich draußen. Stattdessen hatte sie das Haus erkundet, war von Zimmer zu Zimmer gewandert und hatte sich umgesehen. Nach einer Weile war sie sich wie ein Eindringling vorgekommen, seltsam eigentlich, es war doch egal, wem es gehörte, solange sie sich hier aufhalten durften. Trotzdem hatte sie jeden Augenblick die eigentlichen Bewohner zurückerwartet, Vater, Mutter, zwei Kinder, stellte sie

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