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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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einfach so dastand, den Knochen im Maul, und nun war es seine Lehrerin, die schrie, und irgendwie war das dann schon echt komisch, und er lachte und lachte, bis die Tränen kamen und nicht mehr aufhörten.
    * * *
    Paul Zinkel lehnte sich gegen die Hauswand und wünschte, er könnte malen. Der Himmel war vom tiefsten Blau, fast schon Nacht, ein dunkles Tuch marmoriert von Kondensstreifen, als probte ein unsichtbarer Künstler seinen Pinselstrich. Am Horizont, wo noch ein fahlrosa Schimmer lungerte, bereits verblassend, zeigte sich das letzte Licht des Tages, und ein halber Mond harrte seines Einsatzes.
    Allabendlich, wenn es nicht gerade schüttete, stand er hier und wartete auf den Ruf der Gänse, ein heimliches Vergnügen, dem er nicht widerstehen konnte, sooft er es auch hörte. Da! Ein erster Schwarm näherte sich, und die klagenden Schreie der Vögel jagten ihm einen Schauder über den Rücken. Er verstand sich selbst nicht, konnte die Faszination, die das Spektakel auf ihn ausübte, auch nicht erklären. Von daher war er ziemlich froh, dass ihn hier niemand sehen konnte, sonst stünde er schnell im Ruf eines Spinners, der Zugezogene, dessen Macken, mutmaßte er, hier wie dort nicht so ganz gesellschaftsfähig waren. Nicht, dass ihm in der Hinsicht irgendetwas fehlte, im Gegenteil, er verkam zu einem Einsiedler und genoss es. Noch etwas, das er nicht verstand.
    Tatsächlich vermisste er die Zerstreuungen, die eine Stadt wie Wiesbaden bot, nicht im Geringsten. Er mochte das beschauliche Leben, das er führte, seit er nach Ostfriesland gezogen war. Er mochte die Ostfriesen. Ihren trockenen Humor und ihre Bodenständigkeit. Sie waren längst nicht so verschlossen, wie es ihm die hessischen Kollegen prophezeit hatten. Selbst auf der Dienststelle war ihm die Eingewöhnung leichtgefallen. Mit gelegentlicher Frotzelei, die zumeist seine mangelhaften »Sprachkenntnisse« betraf, konnte er umgehen, und es kam ihm mittlerweile so vor, als würden die neuen Kollegen ihn nur hochnehmen, damit er im Gegenzug über die Defizite der Provinz lamentierte. Ein kollegialer Schlagabtausch, nicht mehr.
    Gut, ohne Enno wäre die Umstellung sicherlich nicht so schnell vonstattengegangen. Aber ohne Enno Lübben und das Desaster mit Patrizia hätte er diesen Umzug auch nie in Erwägung gezogen. Ursprünglich eine reine Trotzreaktion, hatte sich seine Flucht als glückliche Fügung zum richtigen Zeitpunkt erwiesen, zumal sein Freund und langjähriger Kollege Jens Hartmann in Wiesbaden den Dienst quittiert hatte. Ohne ihn wäre die Arbeit einfach nicht mehr dieselbe gewesen.
    Er atmete tief ein und langsam wieder aus. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er meinen, Frühling läge in der Luft. Es war ungewöhnlich mild für Ende Oktober, und die Backsteinmauer in seinem Rücken gab die über Tag gespeicherte Wärme an ihn ab. Das traumhafte Wetter versprach, noch länger anzuhalten, und er erwog, am Wochenende einen Ausflug zu einer der ostfriesischen Inseln zu unternehmen. Allein oder auch samt Familienanschluss, der ihm seit seinem Umzug zuteilwurde. Er hatte gezögert, die ihm angebotene Ferienwohnung der Lübbens als Dauermieter zu bewohnen. Zu schnell, zu nah, zu verpflichtend womöglich. Was, wenn der Umgang mit Enno seine Leichtigkeit einbüßte, es Reibereien auf der Dienststelle gäbe? Konnte es überhaupt gelingen, Privates und Berufliches so eng zu verflechten, vor allem, da sie einander noch gar nicht so lange kannten und das Ganze nicht, wie bei Jens, auf einer jahrzehntelangen Freundschaft beruhte?
    Ennos Frau Judith hatte das Angebot übermittelt. Der Wohnungsmarkt war im Sommer reichlich überschaubar gewesen, was daran liegen mochte, dass man hier eher Eigentum erwarb, denn zur Miete zu wohnen, und bei den wenigen in Frage kommenden Objekten hatten mal Judith und mal Enno Vorbehalte angemeldet. Er solle nichts überstürzen, nur um sich dann zu ärgern über zu viele Nachbarn, zu wenig Parkraum, zu viel Lärm oder zu wenig Infrastruktur. Sie waren ausgesprochen erfinderisch gewesen, aber er hatte sich auf ihr Urteil verlassen und seinen Aufenthalt in ihrer Wohnung Woche um Woche verlängert. Bis Judith eines Samstags, Enno war mit den Mädchen unterwegs gewesen, zu ihm gekommen war, vorgeblich, um ihm ein Stück Kuchen vorbeizubringen. Nur war sie nicht wieder gegangen. Er hatte schon befürchtet, sie wolle über irgendwelche Probleme reden, eine eheliche Krise womöglich, doch schließlich war sie damit herausgerückt,

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