Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
nichts«, beharrte er, zog seine triefnasse Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. »Machst du uns Tee?«, fragte er, »ich geh mich grad umziehen.«
»Ja, okay.«
Antonia ging in die Küche. Mittlerweile war es so finster draußen, dass sie das Licht einschalten musste. Sie setzte Wasser auf, suchte Tassen, Kandis und Sahne zusammen und stellte alles auf ein Tablett, das sie ins Wohnzimmer trug und auf den Tisch am großen Fenster stellte. Sie zündete das Teelicht im Stövchen an, bevor sie zurückging und das Wasser aufgoss. Die Lampe flackerte. Oh nein, dachte sie, bloß kein Stromausfall. Irgendwo hatte sie Kerzen gesehen, nur wo? Natürlich dort, wo man zuletzt suchte, im Schrank unter der Spüle. Drei, nein vier, sie legte sie griffbereit auf den Tisch, da hörte das Flackern auf, und die Lampe verbreitete wieder gleichmäßiges Licht. Erleichtert brachte sie die Teekanne ins Wohnzimmer und ließ sich in einen der beiden Sessel fallen.
Frank brauchte ganz schön lange fürs Umziehen, fand sie und überlegte, ob sie ihn wirklich nach der Sache mit seinem Namen fragen sollte. Er hatte ein Geheimnis draus gemacht, also würde er nicht begeistert sein, dass es keins mehr war. Das Testament, sie schlug sich die Hand vor die Stirn, wie lahm im Kopf konnte man eigentlich sein? Was hatte das Testament von Franks erster Frau im Haus eines Freundes zu suchen? Es war überhaupt nicht das Haus eines Freundes, es war seins, seine Frau hatte es ihm vererbt, das wurde ihr erst jetzt klar, voll bescheuert. Er hatte sie angelogen. Aber warum? Auf einmal wünschte sie, sie hätte auf ihre innere Stimme gehört und wäre vorhin wirklich abgehauen. Ach was, beruhigte sie sich, du siehst Gespenster. Ohnehin war es zu spät. Sie hörte Frank die Treppe herunterkommen und blieb, wo sie war.
»Du wolltest dich umziehen«, sagte er.
»Wollte ich nicht«, widersprach sie, »das ist nichts für mich.« Er, registrierte sie verwundert, hatte sich schwer in Schale geschmissen, trug einen dunklen Anzug, sogar Schlips und Straßenschuhe. »Hast du noch was vor heute?«, fragte sie leichthin.
»Zieh – dich – um«, er betonte jedes Wort, »es liegt alles bereit.«
Antonia schaute ihn verständnislos an. Da war etwas in seiner Miene, seiner Körperhaltung, das sie beunruhigte. Sie fror plötzlich und spürte, wie die Härchen an ihren Armen sich aufstellten. Frank trat einen Schritt vor. Und noch einen.
»Ja, okay«, maulte sie, stand widerstrebend auf und verließ das Wohnzimmer. Wenn es denn half, den Abend rumzukriegen ohne Ärger, ihren garantiert letzten Abend auf der Insel, dann würde sie halt das bekloppte Kleid anziehen. Aber morgen wäre sie weg. Endgültig. Und wenn Frank nicht wollte, sie womöglich wieder einschloss, dann musste eben wirklich ein Fenster dran glauben, egal, was er für einen Aufstand machen würde. Das hier, das würde sie sich jedenfalls nicht länger gefallen lassen. Oder musste sie etwa, schoss es ihr durch den Kopf, was war das mit der Vormundschaft, die er erwähnt hatte? War das noch eine Lüge gewesen, oder hatte ihre Mutter das echt unterschrieben? Ging das überhaupt, ohne dass sie selbst zustimmte? Sie wurde bald achtzehn, da konnten doch nicht andere so einfach über sie bestimmen. Oder? Die Anwältin fiel ihr ein. Die würde sie gleich als Erstes anrufen, morgen früh, sobald sie im Ort war. Geld, schoss es ihr durch den Kopf, sie hatte kein Geld dabei, nicht mal ihre Karte. Nicht gut, gar nicht gut.
Das Kleid hing nicht mehr am Schrank, sondern lag ausgebreitet auf ihrem Bett. Auf dem Boden davor standen Pumps. Voll krank, echt. Sie wandte sich ab. Ihr Rucksack lag in der Ecke neben dem Schrank, wo sie ihn nach dem Auspacken hingeworfen hatte. Sie hob ihn auf. Er besaß außen ein kleines Fach für Münzen, gedacht für Parkscheinautomaten, sie hingegen bewahrte immer ein, zwei Euro darin auf für den Fall, dass sie angebettelt wurde. Es war leer. Mist. Sie pfefferte den Rucksack wieder in die Ecke. Haste mal’n Euro zum Telefonieren? Nee, echt, das brachte sie nicht fertig. Also musste sie klauen. Frank trug sein Geld im Hemd, wie sie allzu gut wusste, in der Jacke im Flur brauchte sie gar nicht erst zu suchen. Wie tief war sein Schlaf? Würde sie sich trauen? Ach, sie raufte sich die Haare, was war schlimmer, betteln oder klauen? Falsche Frage, erkannte sie, es musste heißen, betteln oder beim Klauen erwischt werden. Dann war es leicht. Aber jetzt galt es erst mal, den Abend
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