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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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ein Fensterputzer am Werk. Nein, das würde nicht gut gehen, erkannte Marilene. »Ich muss wieder raus«, sagte sie, band sich ein Tuch um die Ohren, zog die Kapuze drüber und kämpfte mit der Tür, bis sie es endlich schaffte, sie aufzudrücken. Erleichtert atmete sie tief die salzige Luft ein. Kaum hatte sie sich für einen etwas geschützteren Stehplatz im Windschatten der Kabine entschieden und Halt suchend die Reling umklammert, da ging es auch schon los. Die brummenden Motoren traten in Wettstreit mit dem Heulen des Windes, und das Boot legte ab. Schaukeln traf es nicht im Mindesten. Himmel, war ihr schlecht. Sie erinnerte vage den Rat, sich auf den Horizont zu konzentrieren, um die Übelkeit zu bannen. Stimmte das? Sie schaute in die Ferne. Kein Horizont. Alles war Wasser, grau und kalt, so, dachte sie, musste Sintflut sein.
    Die halbe Stunde verging quälend langsam, doch sie schaffte es tatsächlich, sich nicht zu übergeben, etwas, das sie schon unter normalen Umständen wie die Pest hasste und gegen den Wind lieber nicht riskieren wollte. Irgendwann gesellte Olaf sich zu ihr, und als die Fähre gegen den Anleger stieß, das Schaukeln sich verlangsamte, löste er ihre Hände von der Reling.
    »Alles klar?«, erkundigte er sich. »Ab jetzt wird’s gemütlich.«
    Das bezweifelte sie und trottete stumm neben ihm her zur wartenden Inselbahn. Wieso hatte sie sich hierauf eingelassen? Sie war durchnässt, sie fror, und sie war hundemüde. Sie bestiegen den Zug, und Marilene ließ sich auf den erstbesten Platz fallen, lehnte den Kopf an die Scheibe und schloss die Augen.
    »Auf, Schlafmütze.« Olaf rüttelte sie am Arm. »Oder willst du etwa gleich die Rückfahrt antreten?«
    Ja, dachte sie und folgte ihm. »Ist es weit?«, erkundigte sie sich.
    »Schon ein gutes Stück.« Olaf konsultierte den Inselplan, den er vor der Abfahrt erworben hatte. »Willst du sehen?«
    Marilene winkte ab. Das Einzige, was sie sehen wollte, war dampfendes Wasser, das aus einer Dusche strömte. Wie zum Hohn öffnete die finstere Wolke direkt über ihnen kurz ihre Schleusen, bevor sie davoneilte. Hoffentlich blieb es dabei. Waten wollte sie nicht auch noch müssen, es war so schon schwierig genug, sich gegen den Wind zu stemmen, manche Böe drohte, sie von den Füßen zu reißen. Nicht mehr lange, und aus dem angeblichen Wind würde wirklich Sturm.
    * * *
    Mist! Lüko Rosenboom knallte den Hörer auf und verwünschte sein Pflichtbewusstsein. Er hatte gerade Feierabend machen wollen, die Jacke schon vom Haken genommen, da hatte es geklingelt. Ein paar Stunden früher, und er hätte die Abwechslung begrüßt, aber doch nicht, wenn er auf dem Weg zu seiner Lisbeth war. Lisbeth, deren Mann die Nacht auf dem Festland verbringen würde. Er rief sie an und sagte, er würde sich verspäten. Mächtig verspäten, denn sie wohnte im Südwesten der Insel, und er musste in die entgegengesetzte Richtung. Bei diesem Wind heute mit dem Rad zu fahren, das konnte dauern. Er packte sich halbwegs regenfest ein und trat ins Freie.
    Gut, dass er Lisbeth noch vom Festnetz aus angerufen hatte, dachte er, hier wäre ihm jedes Wort verweht. Es blies und pfiff ohrenbetäubend, und dunkle Wolken rasten über den Himmel und würden sich jeden Augenblick ausschütten. Er setzte sich aufs Rad und strampelte los, schneller aus der Puste, als er sich eingestehen wollte, der Wind peitschte ihm ins Gesicht, dass die Augen tränten wie verrückt, und zerrte ihm die Kapuze vom Kopf. Er war sich nicht allzu sicher, überhaupt vorwärtszukommen, bestenfalls zwei Längen vor und nur eine zurück, doch vielleicht war es tatsächlich umgekehrt, dann würde ein Heimtrainer ihn glatt schneller ans Ziel bringen.
    Er gab sich geschlagen, stieg ab und schob, etwas, das er abgrundtief hasste. Trotzdem musste er sich auf geschätzte fünfundvierzig Grad in den Wind legen, um nicht zurückgetrieben zu werden. Und dies war nur Wind. Der Sturm, er hatte seinen Namen vergessen, war für später am Abend angekündigt. Er taufte ihn kurzerhand Martha. Nach seiner Mutter, Gott hab sie selig. Martha wollte, dass er nach Hause ging. Er gab den Sturkopf und stapfte weiter, Sibirien, dachte er, nur nicht ganz so kalt.
    Er hatte Almut Herzog gekannt, wenn auch nur flüchtig. Alle Inselkinder, die das Gymnasium besuchen wollten, wechselten aufs NIGE in Esens, aber sie war drei Jahre älter gewesen als er, in dem Alter eine unüberbrückbare Hürde, und so hatten sie nur auf der Fähre

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