Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
gelegentlich ein paar Worte gewechselt. Nach ihrem Abi hatte er sie völlig aus den Augen verloren, bis er vor ein paar Jahren zufällig im Familienregister über ihren Namen gestolpert war, unter den Eheschließungen, und gar nicht viel später, ein, zwei Jahre vielleicht, war ihr Name unter »Verstorben« aufgetaucht. Tragisch, hatte er gedacht, und die Sache wieder vergessen. Bis eben.
Almuts Mann stammte jedenfalls nicht von hier, das war klar, ein Einheimischer hätte eher nicht den Namen seiner Frau angenommen, außer er hieße irgendwie zweideutig, ein Beispiel hierfür wollte ihm jedoch nicht einfallen, der Name Reinicke war gewiss kein Grund zum Schämen. War das Almuts Idee gewesen? Oder steckte tatsächlich etwas anderes dahinter, wie die Kollegin aus Leer anzunehmen schien. Er war einigermaßen neugierig, was das nun für ein Typ war, den Almut da geheiratet hatte. Dem sie ihr Haus vermacht hatte. Woran war sie wohl gestorben? Ob er einfach danach fragen könnte, oder war seine Neugier in der Situation fehl am Platze?
Sein Auftrag lautete, unauffällig zu kontrollieren, ob Herzog überhaupt hier war und ob er sich möglicherweise in Begleitung seiner Stieftochter befand, Betonung auf unauffällig, weil es sein könne, dass das Mädchen nicht freiwillig hier war. Aber er hatte dieser Charlotte schon erklärt, dass unauffällig und Insel nicht zusammengingen, zumindest außerhalb der Saison nicht. Kiebitzen und im Zweifel eben doch klingeln, eine andere Möglichkeit sah er nicht.
Er blieb für einen Moment stehen. Martha holte gerade tief Luft, um ihren Unmut umso heftiger bekunden zu können, wie es nun mal ihre Art war, und sogar die Wolken verharrten gespannt ob des zu erwartenden Donnerwetters. Die plötzliche Stille wirkte unheilvoll. Rosenboom zog die Kapuze wieder über den Kopf, verknotete die Bänder fester als zuvor und nahm seinen Weg wieder auf. Nicht mehr weit, in der Flaute kam er um einiges flotter voran, vielleicht schaffte er es, bevor der große Regen einsetzte und der Sturm alles fortfegte, was nicht fest genug verankert war.
Außer ihm war kein Mensch unterwegs. Ohnehin waren, je weiter er sich vom Ortskern entfernte, mehr und mehr Häuser zu dieser Jahreszeit unbewohnt, erst um Weihnachten herum und dann wieder zu Fastnacht waren wetterunempfindliche Touristen zu erwarten. Eine Katze kreuzte seinen Weg, maunzte vorwurfsvoll, als wollte sie sich bei ihm über das Wetter beschweren und die verschwundenen Mäuse, die längst in ihren Löchern kauerten. »Geh nach Hause«, sagte er. Das Tier zeigte ihm den Vogel, seit wann machten Katzen so was?, überlegte er, dann flitzte es davon und verschwand Richtung Dünen.
Er passierte das letzte Haus. Ein Ortsunkundiger würde glauben, er habe sich verlaufen, doch Almuts Haus lag zwei-, dreihundert Meter weiter, abseits der Straße und versteckt in den Dünen, nur das Dach war von hier aus zu sehen, und auch das nur, wenn man danach suchte. Zufällig würde dort niemand aufkreuzen.
Der Weg zum Haus war von Sand verweht und kaum noch auszumachen. Das Fahrrad sperrte sich schlingernd gegen seinen Griff. Er wendete es in Fahrtrichtung Lisbeth und legte es zu Boden, halb an die Düne gelehnt, hoffend, dass sie den Frevel dulden und es nicht unter sich begraben würde. Zwei Möwen stürzten aus den Wolken und beäugten kritisch kreischend das Gefährt, bevor sie wieder aufflogen, pfeilschnell, als hingen sie an ruckartig eingeholten Marionettenfäden.
Er klopfte sich die Hände ab und marschierte weiter. Jeder Schritt war eine Plage, nasser Sand drang in seine Schuhe, und immer wieder rutschte er weg, ruderte mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er musste wirken wie eine durchgeknallte Vogelscheuche. Lisbeth würde sich lustig machen über ihn, könnte sie ihn so sehen, fast vermeinte er, ihr Lachen zu hören.
»Was wollen Sie hier?«, kam es barsch von hinter ihm.
Er erstarrte mitten in der Bewegung, hatte niemanden sich nähern gehört, sich auch nicht mehr umgedreht, Idiot, schimpfte er sich, die Lektionen seines Ausbilders im Ohr, immer erst sichern. Zu spät.
Er wandte sich um. »Ich möchte zu Almut«, sagte er lahm, spürte, wie er ob der Lüge errötete, und hoffte, sein Gegenüber würde es nicht bemerken bei dem miserablen Licht. Martha entging natürlich gar nichts, und sie strafte ihn ab mit einem kalten Guss.
»Almut ist tot«, sagte der Mann, »schon lange.« Er ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten,
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