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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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irgendwie zu überstehen.
    * * *
    Regen hatte wieder eingesetzt, aufgrund des immer stärker werdenden Windes mehr quer denn senkrecht, und dieses Mal schien es sich nicht um einen nur kurz währenden Schauer zu handeln, das Prasseln nahm einfach kein Ende. Die durch die Sintflut gehen, kam es ihm in den Sinn. Das Wetter war jedenfalls eine Prüfung. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte, eher im Gegenteil, es kam ihm angemessen vor, eine dramatische Kulisse für den Augenblick, der Marilene unwiderruflich in seine Arme treiben würde. Sofern sie nicht jetzt noch schlappmachte. Er blickte sich kurz nach ihr um. Sie trottete noch immer in seinem Windschatten hinterdrein, gesenkten Kopfes und blind für ihre Umgebung.
    Er blickte wieder nach vorn. Weit konnte es nicht mehr sein, nahm er an, die Bebauung dünnte langsam aus. Allmählich wurde es Zeit für einen Plan. Vorher war die Zeit zu knapp gewesen, um etwa eine Waffe zu organisieren. Oder einen Hund. Ein Hund wäre nicht schlecht. Es musste auch so gehen. Er hoffte auf einen Schuppen, in dem Gartengeräte aufbewahrt wurden. Ein Spaten, eine Harke wären gut, eine Axt noch effektiver. Den Anblick wollte er Marilene allerdings ersparen, ein toter Hund war eine Sache, ein Blutbad etwas völlig anderes.
    Hier, das sollte der Weg zum Haus sein, oder? Er blieb stehen und konsultierte nochmals die Karte. Marilene stieß gegen ihn, schaute ihn fragend an.
    Er nickte. »Ich denke schon«, sagte er, »bleib hinter mir, ja?«
    Der Weg war schmal, bedeckt von Sand. Schwierig zu gehen, ständig drohten die Füße wegzurutschen. Ein Fahrrad lag am Rand, die Nase zur Straße, vergessen oder aufgegeben. Er stapfte weiter. Da lag noch etwas, halb im Weg. Ein nassglänzender schwarzer Sack, ziemlich groß, zu groß für einen Müllsack, oh, dachte er, ein Müllsack hat keine Haare, da lag ein Mensch, ein Mann, mittelalt, fahl, Augen geschlossen. Er kniete sich hin und tastete am Hals nach seinem Puls, vielleicht, ganz schwach, er war sich nicht sicher.
    »Ich glaub, er lebt noch«, sagte er, holte sein iPhone unter der Windjacke hervor und warf es Marilene zu, »ruf Hilfe, schnell.« Er versuchte auszumachen, was dem Mann fehlte. Er drehte ihn auf den Rücken.
    »Kein Netz«, jammerte Marilene.
    »Dann kletter auf die Düne, vielleicht klappt’s da.«
    Er ratschte die Klettverschlüsse der Regenjacke des Mannes auf, den darunterliegenden Reißverschluss ebenfalls, und bereute seine Impulsivität sogleich. Kein schöner Anblick. Der Mann hatte bereits Unmengen Blut verloren, das der Regen nun verdünnte, und noch immer sickerte welches aus einer Wunde im Bauchbereich, einer eher kleinen, runden Wunde. Was war das? Etwa eine Schussverletzung? Er wollte seiner Mutmaßung nicht recht trauen, doch dann entdeckte er, dass der Mann selbst ein Holster trug. Und es war nicht leer. Wie praktisch, er unterdrückte den Pfiff, der ihm auf den Lippen lag, ein eigener Plan hätte kaum ausgefeilter sein können. Er vergewisserte sich, dass Marilene nicht hersah, und stopfte die Pistole in den Bund seiner Hose.
    * * *
    »Da stimmt was nicht«, sagte Charlie und steckte ihr Handy wieder ein, »Rosenboom müsste längst zurück sein.«
    »Vielleicht kriegt er bloß keine Verbindung wegen des Wetters«, schlug Zinkel vor, auf die harmlose Variante hoffend. Insgeheim gab er ihr jedoch recht, wenn man von der Fähre aus telefonieren konnte, sollte das auf der Insel ebenfalls möglich sein.
    Sein Handy klingelte. Wiesbaden. Die Hunde-Geschichte erschien ihm im Moment zweitrangig, trotzdem nahm er das Gespräch an. Rauschen, sonst nichts. So viel zum Thema Netzbereitschaft. Er verspürte ein Kribbeln im Magen, das mit Sicherheit nicht von der unruhigen Überfahrt herrührte.
    »Bin mal kurz draußen, ja?«, sagte er und verließ die Kabine, ohne auf Charlies verwunderten Blick zu reagieren.
    Mittlerweile war es vollkommen dunkel, der Himmel so schwarz wie das Meer, und er vermochte nicht zu sagen, was wo begann oder endete. Kein Land in Sicht, nichts war in Sicht, dabei mussten sie Langeoog bald erreichen, doch genauso gut könnten sie sich irgendwo mitten auf dem Ozean befinden, eine Nussschale in den krachenden Wellen. Die Beleuchtung der Fähre wirkte wie ein trotziges Festhalten an ausgeleierten Durchhalteparolen, an die niemand mehr glaubte, time to say goodbye , der Abgesang schon angestimmt. Der Wind nahm an Stärke noch zu, so schien es ihm, und er klammerte sich an den Handlauf der Treppe zum

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