Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
die Sache allerdings etwas eingrenzen. Woher will er das überhaupt wissen?«
»Hat, glaub ich, mit der Knochendichte zu tun«, sagte Zinkel, »je mehr Bewegung, desto dichtere Knochen.«
»Woher weißt du so was?«
»Ich bin halt in dem Alter, in dem Gespräche sich schon mal um Fragen der Gesundheit drehen. Da schnappt man einiges auf.«
Lübben musterte ihn mit skeptischem Blick. Entweder zweifelte er an seinem Alter oder am Nutzen solcher Gespräche. Letzteres, vermutete Zinkel, und das lag wahrscheinlich am grassierenden Grau in seinem Haar. Das Problem würde er gewiss nicht mittels Farbe beheben, wie seine Friseurin unlängst vorgeschlagen hatte, viel zu auffällig.
»Wie auch immer«, sagte Lübben, »auf jeden Fall können wir von einem Tötungsdelikt ausgehen, oder was meinst du?«
»Doch, das denke ich auch«, stimmte er zu, »das vollständige Fehlen von Kleidung, persönlichen Gegenständen oder gar Papieren spricht sehr dafür.«
* * *
Marilene blinzelte. Die Ziffern des Radioweckers waren verflixt unscharf – bis sie sich mit dem Oberkörper weiter entfernte. Erschreckend weit. Neun Uhr, erkannte sie schließlich. Entweder musste sie sich dringend einen neuen Wecker anschaffen, mit größeren, seniorengerechten Zahlen, oder sie sollte sich endlich angewöhnen, ihre Lesebrille stets griffbereit zu haben. Sie verschusselte sie dauernd, aber gab es da nicht so Pieper, die beim Wiederfinden halfen? Die Alternative wäre ein Kettchen. So ein Goldkettchen, wie es silbergraue Bibliothekarinnen trugen. Sie seufzte. Eine Brille war an sich nicht schlimm, aber was käme als Nächstes? Unwillkürlich prüfte sie mit der Zunge, ob noch alle Zähne vorhanden waren. Es schien alles in Ordnung zu sein.
In den Ritzen der Jalousien tanzte das Sonnenlicht, und sie warf die Decke von sich und schwang sich aus dem Bett. Leise, um ihren Gast nicht zu wecken, tappte sie ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Mit heißen Nadeln prasselte das Wasser auf sie ein. Sie rang mit sich, ob sie den Hahn auf kalt stellen sollte, und verlor, rubbelte sich trocken und öffnete das Fenster, um den Dampf entweichen zu lassen. Ein Fehler vielleicht, ihr Morgengesicht nach langen Nächten, selbst wenn sie asketisch verlaufen waren, ließ doch zu wünschen übrig. Vergiss es, ermahnte sie sich, es gab Wichtigeres zu tun, als ersten Altersdepressionen zu frönen. Sie putzte sich die Zähne und schminkte sich, warf einen letzten, nicht mehr ganz so kritischen Blick in den Spiegel und zog sich an.
Sie deckte gerade den Frühstückstisch, und die Kaffeemaschine lief bereits, da huschte Antonia aus dem Gästezimmer.
»Morgen, gut geschlafen?«, erkundigte sich Marilene.
»Ganz okay.«
»Deine Klamotten sind trocken, ich hoffe, du möchtest nicht, dass ich sie bügele.«
»Passt schon«, entgegnete Antonia.
»Sag, trinkst du Kaffee oder lieber was anderes?«
»Kaffee ist gut«, nuschelte Antonia und verschwand im Bad.
Als sie zurückkam, wirkte sie etwas munterer, doch nicht minder traurig. Kein Wunder, dachte Marilene, der Brief, die Hochzeit, da kam einiges zusammen, was nicht nur Teenager ins Taumeln brächte. Nicht jetzt, dachte sie, lass das Kind erst mal frühstücken. Sie suchte nach einem unverfänglichen Thema.
»Du hast mir gestern gar nicht mehr erzählt, was da mit deiner Freundin los war«, fiel ihr ein, während sie die aufgebackenen Brötchen aufschnitt.
Antonia zuckte hoch, als sei ihr das ebenfalls entfallen. »Ich wollte bei ihr übernachten …«, sagte sie zögerlich und fuhr dann doch fort, »aber dann ist der eine Bruder nach Hause gekommen und hat uns angemacht. Also richtig bedroht. Der ist Kathrin an die Gurgel, weil er geglaubt hat, sie hat Männerbesuch. Ich wollte ihr helfen, aber sie hat gesagt, ich soll abhauen. Und die Klappe halten.«
Grundgütiger, dachte Marilene, was denn noch alles? »Das hört sich übel an«, sagte sie.
Wieder drohten Tränen. »Das ist es auch. Ich meine, ich weiß ja, dass ihre Brüder voll abgedreht sind, die saufen und prügeln sich dauernd. Aber dass das auch gegen Kathrin geht, hab ich nicht gewusst. Und«, ihre Stimme wurde ganz leise und kleinlaut, »ich glaub fast, dass das was Sexuelles ist. Ich meine, wieso sollte Eddi sonst was gegen Männerbesuch haben?« Sie schaute Marilene flehentlich an, als erhoffte sie Widerspruch. »Echt, ich bin doch ihre beste Freundin. Der verheimlicht man doch nicht, wenn’s einem dreckig geht.«
»Wahrscheinlich
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