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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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lauschend, schüttelte er die Dose, sprühte das Schloss ein und wischte mit einem Taschentuch die überschüssige Flüssigkeit vom Türschild. Es stank ziemlich erbärmlich, doch bis zum Mittag müsste der Geruch verflogen sein. Er führte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Butterweich. Vollkommen geräuschlos gelangte er in ihre Wohnung und schloss hinter sich ab.
    Er zog seine Lederschuhe aus, die auf dem Dielenboden zu viel Lärm verursachen würden, nahm sie in die Hand und tappte auf Strümpfen ins Wohnzimmer, einem Zickzackkurs folgend, um die mittlerweile wohlbekannten knarrenden Stellen zu meiden. Die Schuhe legte er auf einer Brücke ab, damit sie keine feuchten Spuren hinterließen, dann kniete er sich vor das Wohnzimmerregal. Hinter der mittleren Tür im Sockel befand sich, was er suchte. Er machte sich an die Arbeit. Rasch und geschickt vernichtete er mit einem scharfen Messer mit hauchdünner Klinge ein paar Erinnerungen, nur um sie durch neue zu ersetzen. Meisterwerke wahrlich, zu schade, dass er für diese Arbeit keinen Applaus einfordern konnte.
    Zehn Minuten später war er fertig. Er genehmigte sich ein Bonbon, wedelte den Geruch nach Klebstoff beiseite und trat ans Fenster, um sein Werk noch einmal zu begutachten. Es schien perfekt, selbst im Tageslicht fiel ihm kein Makel auf. Phantastisch. Er legte alles wieder an seinen Platz. Mit schnellem Blick prüfte er, ob er etwas übersehen hatte, dann griff er nach seinen Schuhen und schlich zur Tür.
    Dies war stets der kritischste Moment. Noch konnte er sich verstecken, was seinen ganz eigenen Reiz barg, musste er zugeben. Und wenn er erst im Flur war, könnte er jeden Verdacht wegerklären. Aber wenn er die Tür öffnete und gerade in dem Augenblick jemand käme, wäre sein Einsatz vergebens gewesen.
    Er lauschte konzentriert. Nichts war zu hören, und so öffnete er sachte die Tür und spähte um die Ecke. Niemand, er war allein. Er stellte seine Schuhe auf die Fußmatte und stieg hinein, während er schon die Tür zuzog und abschloss. Leise, aber nicht zu leise, nur für den Fall, er würde entdeckt und wirkte allzu verstohlen, stieg er die Treppe hinab und trat ins Freie. Eine alte Frau wühlte im Vorgarten des Nachbarhauses und blickte neugierig auf.
    »Moin«, grüßte er mit erhöhter Stimme und freundlich, aber wiederum nicht zu freundlich, denn ein Gespräch kam nicht in Frage. Wiedererkennen würde sie ihn nicht. Er rückte sich den Hut zurecht und verließ festen Schritts das Grundstück. Ein Mann mit einer Mission. Und oh, er konnte es kaum erwarten, dass sich der Vorhang hob für den nächsten Akt der Inszenierung.
    * * *
    Tod durch Erhängen, Marilene schauderte, viel zu nah dran an ihren eigenen Alpträumen, seit sie selbst diesem Schicksal nur ganz knapp entronnen war. Zwar erinnerte sie sich nicht daran, sie war betäubt und komplett weggetreten gewesen, trotzdem verfolgten sie die Bilder von im Wind schaukelnden Schlingen noch immer und würden nun wieder kraftvoller, bedrohlicher. »Kein Selbstmord?«, wiederholte sie, »das verstehe ich nicht.«
    »Die Staatsgewalt steht genauso auf dem Schlauch«, sagte Gerrit, »irgendjemand hat Kathrins Vorhaben zu Ende gebracht, möglicherweise gegen deren Willen – Antonias Idee, und sie klingt logisch, finde ich. Kathrin hat sich’s in letzter Minute anders überlegt, und das hat jemandem ganz und gar nicht gepasst. Wir suchen also einen Mörder, oder eine Mörderin, Paul denkt da offenbar nicht nur an den Bruder, sondern auch an die Mobbing-Geschichte in der Schule.«
    »Nicht ›wir‹«, bat Marilene. Mit ihrem Umzug hatte sie sich geschworen, derartige Ermittlungen der Polizei zu überlassen. Zu oft schon war sie gewaltbereiten Psychopathen in die Quere gekommen, als dass sie auch nur die geringste Neigung verspürte, sich wieder einmal in unwägbare Gefahrenzonen zu begeben. Ihr Vertrauen in die eigene Menschenkenntnis hatte stark gelitten, reaktionsschnell war sie noch nie gewesen, und sie konnte sich schon gar nicht darauf verlassen, dass im rechten Moment mal wieder jemand zur Stelle wäre, sie zu retten. Zumal Letzteres absolut nicht ihrem Selbstverständnis, ihrem Frauenbild entsprach, die Zeit der Heldenepen war vorbei.
    »Natürlich nicht«, pflichtete Gerrit ihr bei, »das war metaphorisch gesprochen. Lothar wird begeistert von deiner Einstellung sein. Noch Tee?«
    Lothar zu begeistern nahm auf ihrer Prioritätenliste keinen der vorderen Plätze ein, vielmehr handelte es

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