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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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bot Marina mit einem Blick meine Hilfe an. Sie lehnte ab und bat mich, im Salon zu bleiben. Ihr Vater stützte sich auf sie, und so sah ich sie den Raum verlassen.
    »Es war mir ein Vergnügen, Óscar …«, murmelte Germáns müde Stimme, sich im schattigen Flur verlierend. »Besuchen Sie uns wieder, besuchen Sie uns wieder …«
    Ich hörte die Schritte im Inneren der Wohnung verhallen und wartete im Kerzenlicht fast eine halbe Stunde auf Marinas Rückkehr. Die Atmosphäre des Hauses begann mich zu durchdringen. Als mir klarwurde, dass Marina nicht wiederkommen würde, begann ich mir Sorgen zu machen. Ich wusste nicht, ob ich sie suchen sollte, aber es schien mir nicht richtig, einfach in den Zimmern herumzuschnüffeln. Ich wollte eine Nachricht hinterlassen, hatte jedoch nichts zum Schreiben dabei. Es wurde bereits dunkel, also würde ich am besten gehen. Am nächsten Tag wollte ich nach der Schule wiederkommen, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung war. Überrascht stellte ich fest, dass ich Marina erst eine halbe Stunde nicht gesehen hatte und im Kopf schon nach einem Vorwand suchte, um wiederzukommen. Ich ging zur Hintertür in der Küche und dann durch den Garten zum Gittertor. Der Himmel über der Stadt mit seinen vorüberziehenden Wolken erlosch.
    Auf dem gemächlichen Rückweg ins Internat zogen die Ereignisse des Tages durch meinen Geist. Als ich die Treppen zu meinem Zimmer im vierten Stock hinaufstieg, war ich überzeugt, dass das der seltsamste Tag meines Lebens gewesen war. Aber hätte ich eine Karte für eine Wiederholung kaufen können, ich hätte es ohne zu zögern getan.

7
    I n der Nacht träumte ich, ich sei in einem riesigen Kaleidoskop gefangen. Es wurde von einem teuflischen Wesen gedreht, von dem ich durch die Linse nur sein großes Auge erspähte. Die Welt zerfiel in Labyrinthe optischer Illusionen, die mich umschwebten. Insekten. Schwarze Schmetterlinge. Plötzlich erwachte ich mit dem Gefühl, in meinen Adern fließe siedend heißer Kaffee. Dieser fiebrige Zustand verließ mich den ganzen Tag nicht. Die montäglichen Unterrichtsstunden rauschten vorbei wie Züge, die an meinem Bahnhof nicht hielten. JF bemerkte es sogleich.
    »Eigentlich schwebst du ja immer in den Wolken, aber heute schwirrst du ins All ab. Bist du krank?«
    Ich beruhigte ihn mit abwesender Miene. Die über der Wandtafel hängende Uhr zeigte halb vier. Erst in knapp zwei Stunden war Schulschluss. Eine Ewigkeit. Draußen kratzte der Regen an den Fenstern.
     
     
    Als die Glocke läutete, sauste ich, anstatt mich mit JF auf unseren üblichen Spaziergang in der wirklichen Welt zu machen, durch die endlosen Gänge zum Ausgang. Die Gärten und Brunnen draußen lagen blass unter einer Gewitterdecke. Ich hatte keinen Schirm bei mir, nicht einmal eine Kapuze. Der Himmel glich einem bleiernen Grabstein, die Straßenlaternen brannten wie Streichhölzer.
    Ich rannte los, wich Pfützen und überlaufenden Abflüssen aus und gelangte endlich auf die Straße hinaus. Sie war überflutet von Regenbächen, als blute eine Ader aus. Durchnässt bis auf die Knochen, lief ich durch die engen, stillen Straßen, an Gullys vorbei, die mich anbrüllten. Die Stadt schien in einem schwarzen Ozean untergehen zu wollen. In zehn Minuten stand ich vor dem Gittertor von Marinas und Germáns Haus. Längst waren meine Kleider und Schuhe vor Nässe aufgeweicht. Die Dämmerung war eine gräuliche Marmorwand am Horizont. Da glaubte ich hinter mir, in der Einmündung der Straße, ein Knacken zu hören und schnellte erschrocken herum. Einen Augenblick hatte ich das Gefühl, jemand sei mir gefolgt. Doch es war niemand da, nur der Regen peitschte die Pfützen auf dem Weg.
    Ich schlüpfte durchs Tor. Die Helligkeit der Blitze leitete mich zum Haus. Die Cherubim im Brunnen hießen mich willkommen. Zitternd vor Kälte, erreichte ich den Hintereingang bei der Küche. Er war offen, und ich trat ein. Das Haus lag in vollkommener Dunkelheit. Ich erinnerte mich an das, was Germán über den fehlenden Strom gesagt hatte.
    Erst jetzt kam ich auf den Gedanken, dass ich ja überhaupt nicht eingeladen war. Zum zweiten Mal drang ich eigenmächtig in dieses Haus ein. Ich wollte wieder gehen, doch draußen heulte der Sturm. Meine Hände schmerzten vor Kälte, so dass ich kaum die Fingerspitzen fühlte. Ich hustete wie ein Hund und spürte das Herz in den Schläfen hämmern. Eiskalt klebten mir die Kleider am Körper. Ein Königreich für ein Badetuch, dachte

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