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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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warten. Die Vorstellung, ins Freie hinauszugehen, war nicht sehr verführerisch, und das Gewitter war noch das geringste Übel. Ich ließ mich in einen riesigen Sessel fallen. Allmählich schlief ich über dem Widerhall des Regens und der schwachen Helligkeit im Salon ein. Dann hörte ich auf einmal, wie das Hauptportal aufgeschlossen wurde und Schritte sich im Haus bewegten. Ich erwachte aus meiner Trance, und mir blieb fast das Herz stehen. Durch den Gang näherten sich Stimmen. Eine Kerze. Kafka lief auf das Licht zu, als Germán und seine Tochter den Salon betraten. Marina warf mir einen eisigen Blick zu.
    »Was suchst du hier, Óscar?«
    Ich stammelte irgendetwas Unzusammenhängendes. Germán lächelte mir freundlich zu und betrachtete mich neugierig.
    »Mein Gott, Óscar, Sie sind ja völlig durchnässt! Marina, bring Óscar ein paar Handtücher … Kommen Sie, Óscar, wir machen Feuer, es ist ein wahres Hundewetter.«
     
     
    Ich setzte mich vor den Kamin, die Tasse Brühe in der Hand, die mir Marina gemacht hatte. Schwerfällig erläuterte ich den Grund meines Hierseins, erwähnte jedoch die Silhouette im Fenster und den unseligen Gestank nicht. Germán akzeptierte meine Erklärungen ohne weiteres und zeigte sich über mein Eindringen keineswegs beleidigt, im Gegenteil. Bei Marina jedoch war es anders. Ihr Blick durchbohrte mich. Ich befürchtete, mein idiotisches, schon fast gewohnheitsmäßiges Ins-Haus-Schleichen könnte das endgültige Aus für unsere Freundschaft bedeuten. In der halben Stunde, die wir vor dem Feuer saßen, tat sie den Mund nicht auf. Als Germán sich mit einem Gute Nacht entschuldigte, vermutete ich, meine ehemalige Freundin werde mich mit Fußtritten hinausschmeißen und mir untersagen, mich jemals wieder hier blicken zu lassen.
    Da, jetzt kommt’s, dachte ich. Der Todeskuss. Schließlich lächelte sie fein und sarkastisch.
    »Du siehst aus wie eine seekranke Ente«, sagte sie.
    »Danke.« Ich hatte etwas Schlimmeres erwartet.
    »Wirst du mir nun erzählen, was zum Teufel du hier gesucht hast?«
    Ihre Augen glänzten im Licht des Feuers. Ich schlürfte den Rest Suppe und senkte den Blick.
    »Ich weiß es wirklich nicht … Vermutlich … Ach, was weiß ich …«
    Zweifellos kam mir mein jämmerlicher Anblick zu Hilfe – Marina trat zu mir und tätschelte mir die Hand.
    »Schau mich an«, befahl sie.
    Ich gehorchte. Sie betrachtete mich mit einer Mischung aus Mitleid und Sympathie.
    »Ich bin dir nicht böse, hörst du? Es hat mich bloß überrascht, dich hier zu sehen, einfach so, ohne Ankündigung. Jeden Montag begleite ich Germán zum Arzt, ins San-Pablo-Krankenhaus, darum waren wir nicht da. Das ist kein guter Tag für Besuche.«
    Ich war beschämt.
    »Es wird nicht wieder vorkommen.«
    Schon wollte ich ihr von der seltsamen Erscheinung berichten, die ich gesehen zu haben glaubte, als sie leise lachte und sich vorbeugte, um mich auf die Wange zu küssen. Allein die Berührung ihrer Lippen trocknete meine Kleider auf der Stelle. Meine Worte verirrten sich auf dem Weg zur Zunge. Marina bemerkte mein stummes Gestammel.
    »Was ist?«, fragte sie.
    Ich betrachtete sie schweigend und schüttelte den Kopf.
    »Nichts.«
    Sie zog die Brauen in die Höhe, als glaubte sie mir nicht, insistierte aber nicht weiter.
    »Noch etwas Brühe?« Sie stand auf.
    »Gern.«
    Sie ging mit meiner großen Tasse in die Küche, um sie zu füllen. Ich blieb beim Feuer und betrachtete fasziniert die Porträts der Dame an den Wänden. Als Marina zurückkam, folgte sie meinem Blick.
    »Die Frau auf all diesen Porträts …«, begann ich.
    »… ist meine Mutter.«
    Ich spürte, dass ich mich auf heikles Gebiet wagte.
    »Solche Bilder habe ich noch nie gesehen. Sie sind wie … Fotos der Seele.«
    Marina nickte schweigend.
    »Es muss ein berühmter Künstler sein«, schob ich nach. »Aber so was habe ich noch nie gesehen.«
    Marinas Antwort ließ ein wenig auf sich warten.
    »Und du wirst es auch nie wieder sehen. Seit fast sechzehn Jahren hat der Künstler kein Bild mehr gemalt. Diese Porträtserie war sein letztes Werk.«
    »Er muss deine Mutter sehr gut gekannt haben, um sie auf diese Art porträtieren zu können.«
    Sie schaute mich lange an. Ich spürte den gleichen Blick, wie er auf den Bildern eingefangen war.
    »Besser als sonst jemand. Er war mit ihr verheiratet.«

8
    A n diesem Abend vor dem Kamin erzählte mir Marina die Geschichte von Germán und der Villa in Sarriá.
    Germán Blau war in

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