Marina.
Ich erkannte eine graue Plane, mit der etwas zugedeckt war, was ein Auto sein musste. Germán ergriff eine Ecke der Plane und bedeutete mir, es ihm gleichzutun.
»Auf drei?«, fragte er.
Auf das Zeichen hin zogen wir beide kräftig, und die Plane verschwand wie ein Brautschleier. Nachdem sich die Staubwolke im leichten Wind verzogen hatte, gab das schwache Licht, das durch die Bäume drang, eine Vision frei. Ein eindrucksvoller weinroter Fünfziger-Jahre-Tucker mit Chromfelgen schlummerte in dieser Höhle. Verblüfft schaute ich Germán an. Er lächelte stolz.
»Solche Autos werden heute nicht mehr hergestellt, Óscar.«
»Wird er fahren können?«, fragte ich mit einem Blick auf dieses, wie mir schien, Museumsstück.
»Was Sie da sehen, ist ein Tucker, Óscar. Er fährt nicht los, er prescht davon.«
Eine Stunde später kurvten wir über die Küstenstraße. Germán saß am Steuer, sah aus wie ein Pionier des Automobilismus und lächelte, als hätte er das große Los gezogen. Marina und ich hatten vorn neben ihm Platz genommen. Kafka verfügte über den ganzen Fond und schlief friedlich. Alle anderen Autos überholten uns, aber ihre Insassen drehten sich um und starrten mit Staunen und Bewunderung auf den Tucker.
»Bei einem Klassefahrzeug ist die Geschwindigkeit vollkommen nebensächlich«, erklärte Germán.
Wir waren schon in der Nähe von Blanes, und ich hatte noch immer keine Ahnung, wohin die Reise ging. Germán war mit Fahren beschäftigt, und ich mochte ihn in seiner Konzentration nicht stören. Er fuhr mit der für ihn typischen Galanterie, gewährte selbst den Ameisen den Vortritt und grüßte Radfahrer, Passanten und die Motorradfahrer der Guardia Civil. Nach Blanes kündigte eine Tafel den Küstenort Tossa de Mar an. Ich sah zu Marina hin, und sie blinzelte mir zu. Ich dachte, vielleicht besuchten wir das Schloss von Tossa, doch der Tucker umfuhr das Dorf und folgte der schmalen Küstenstraße nach Norden. Es war weniger eine Straße als ein zwischen Himmel und Steilküste schwebendes Band, das sich um Hunderte scharfe Kurven schlängelte. Zwischen den Ästen der Pinien hindurch, die sich an steile Flanken klammerten, war das weit wie eine glühende blaue Decke daliegende Meer zu sehen. Etwa hundert Meter weiter unten bildeten Dutzende von unzugänglichen Buchten und verborgenen Winkeln eine geheime Route zwischen Tossa de Mar und la Punta Prima beim Hafen von Sant Feliu de Guíxols in zwanzig Kilometer Entfernung.
Nach etwas über einer Viertelstunde hielt Germán am Straßenrand an. Mit einem Blick gab mir Marina zu verstehen, wir seien am Ziel. Wir stiegen aus, und Kafka entfernte sich Richtung Pinien, als kennte er den Weg. Während sich Germán versicherte, dass die Bremse des Tucker fest angezogen war, so dass er nicht den Hang hinuntersausen konnte, trat Marina an den Abgrund zum Meer. Ich stellte mich neben sie und starrte hinunter. Zu unseren Füßen umfasste eine kleine, halbmondförmige Bucht eine Meerzunge von durchsichtigem Grün. Dahinter beschrieben Felsen und Strände einen Bogen bis zur Punta Prima, wo sich zuoberst auf dem Berg wie eine Schildwache die Silhouette der Einsiedelei Sant Elm erhob.
»Komm, gehen wir«, sagte Marina.
Ich folgte ihr zwischen den Pinien hindurch. Der Pfad führte über das Grundstück eines alten verlassenen Hauses, das eine Beute der Sträucher geworden war. Von dort glitt eine in den Fels gehauene Treppe zum Strand mit seinen goldenen Steinen hinunter. Bei unserem Anblick flog ein Schwarm Tauben auf und zog sich in die Hänge zurück, die die Bucht säumten und eine Basilika aus Felsen, Meer und Licht bildeten. Das Wasser war so glasklar, dass man jede Falte Sand unter der Oberfläche lesen konnte. In der Mitte der Bucht ragte eine Steinspitze wie der Bug eines gestrandeten Schiffs hinaus. Der Meeresgeruch war kräftig, und eine salzig schmeckende Brise kämmte die Küste. Marinas Blick verlor sich am Horizont aus Silber und Dunst.
»Diese Ecke ist mir die liebste auf der ganzen Welt«, sagte sie.
Sie wollte mir unbedingt jeden Winkel in den Steilhängen zeigen. Bald wurde mir klar, dass ich mir am Ende das Genick brechen oder kopfüber ins Wasser stürzen würde.
»Ich bin doch keine Gemse!« Ich versuchte, ein wenig gesunden Menschenverstand in diese seillose Bergsteigerei zu bringen.
Marina überhörte meine Bedenken und erkletterte vom Meer abgeschliffene Wände und schlüpfte durch Öffnungen, wo die Gezeiten atmeten wie
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