Marina.
Schulden übernehmen, die es mit sich schleppte, um es von Grund auf neu aufzubauen und zur besten Bühne Europas zu machen. Ein blendendes Theater mit den modernsten technischen Errungenschaften und ganz seiner angebeteten Ewa Irinowa gewidmet. Die Theaterleitung versagte sich seinem großzügigen Angebot nicht. Das neue Projekt wurde auf den Namen Gran Teatro Real getauft. Einen Tag später trug Kolwenik Ewa Irinowa in perfektem Russisch die Ehe an. Sie willigte ein.
Das Paar plante, nach der Hochzeit in eine Traumvilla zu ziehen, die sich Kolwenik neben dem Park Güell bauen ließ. Er selbst hatte zuvor dem Architekturbüro Sunyer, Balcells i Baró einen Entwurf des Prachtbaus vorgelegt. Es hieß, niemals in der Geschichte Barcelonas sei für einen privaten Wohnsitz eine derartige Summe ausgegeben worden, und das bedeutete etwas. Nicht allen gefiel jedoch dieses Märchen. Kolweniks Partner bei der Velo-Granell war dessen Besessenheit ein Dorn im Auge, da er befürchtete, Kolwenik werde zur Finanzierung seines irrwitzigen Projekts, das Teatro Real zum achten Weltwunder zu machen, Mittel der Firma investieren. Damit lag er nicht ganz falsch. Zudem begann man nun in der Stadt über Kolweniks wenig orthodoxe Praktiken zu munkeln. Es traten Zweifel an seiner Vergangenheit und an seiner Selfmademan-Fassade auf. Dank der unerbittlichen Anwaltsmaschinerie der Velo-Granell erstarben die meisten dieser Gerüchte wieder, ehe sie in die Druckereien der Presse gelangten. Mit Geld kann man sein Glück nicht kaufen, sagte Kolwenik immer, aber dafür kaufte er sich alles andere.
Sergei und Tatjana Glasunow, Ewa Irinowas finstere Wärter, sahen ihre Zukunft in Gefahr. In der im Bau befindlichen neuen Villa war kein Raum für sie vorgesehen. Kolwenik, der das Problem mit den Zwillingen erwartet hatte, bot ihnen eine großzügige Summe an, damit sie ihren angeblichen Vertrag mit Irinowa auflösten. Dafür sollten sie das Land verlassen und sich verpflichten, nie wieder zurückzukehren oder sich mit Ewa Irinowa in Verbindung zu setzen. Zornentbrannt weigerte sich Sergei rundweg und schwor Kolwenik, dass er sie nie loswürde.
Als Sergei und Tatjana am nächsten Tag frühmorgens aus einer Haustür in der Calle Sant Pau traten, setzte eine aus einem Fuhrwerk abgegebene Salve ihrem Leben beinahe ein Ende. Der Angriff wurde den Anarchisten in die Schuhe geschoben. Eine Woche später unterzeichneten die Zwillinge das Dokument, in dem sie zusicherten, Ewa Irinowa freizugeben und für immer zu verschwinden. Das Hochzeitsfest wurde auf den 24. Juni 1935 festgesetzt. Schauplatz sollte die Kathedrale von Barcelona sein.
Die Zeremonie, von einigen mit der Krönung von König Alfonso XIII . verglichen, fand an einem strahlenden Vormittag statt. Die Menschenmenge besetzte jeden Winkel der Avenida de la Catedral, gierig danach, sich mit dem Prunk und der Pracht des Schauspiels vollzusaugen. Noch nie hatte Ewa Irinowa so betörend ausgesehen. Zu den Klängen von Wagners Hochzeitsmarsch, auf der Freitreppe der Kathedrale vom Orchester des Liceo-Theaters gespielt, stieg das Brautpaar zur Kutsche mit den weißen Pferden hinab, die es erwartete. Sie waren nur noch drei Meter davon entfernt, da durchbrach ein Mann den Sicherheitskordon und stürzte sich auf das Paar. Man hörte alarmierte Schreie. Als er sich umwandte, sah sich Kolwenik den blutunterlaufenen Augen Sergei Glasunows gegenüber. Keiner der Anwesenden sollte je vergessen, was dann geschah. Glasunow zog ein Flakon aus der Tasche und schüttete den Inhalt Ewa Irinowa ins Gesicht. Die Säure versengte den Schleier und verwandelte ihn in ein Gespinst aus Dampf. Ein Aufheulen spaltete den Himmel. Die Menge explodierte in einen wilden Haufen, und in einem einzigen Augenblick verlor sich der Angreifer zwischen den Menschen.
Kolwenik kniete neben der Braut nieder und nahm sie in die Arme. Unter der Einwirkung der Säure zerflossen Ewa Irinowas Gesichtszüge wie ein frisch gemaltes Aquarell im Wasser. Die dampfende Haut schrumpfte zu einem verbrannten Pergament, und der Gestank nach versengtem Fleisch erfüllte die Luft. Die Augen der jungen Frau waren unversehrt geblieben. In ihnen waren der Schrecken und die Agonie zu lesen. Kolwenik wollte das Antlitz seiner Gattin retten, indem er seine Hände darauf legte. Doch es blieben nur Fleischfetzen hängen, während die Säure seine Handschuhe zerfraß. Als Ewa schließlich die Besinnung verlor, war ihr Gesicht nichts anderes mehr
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