Marina.
wer er ist.«
»Claret …«, flüsterte ich, und das Puzzle begann sich in meinem Kopf zusammenzufügen.
Es war Claret, der mich aus den Stollen gerettet und ins Haus in Sarriá zurückgebracht hatte. Mir wurde klar, dass er mir das Leben gerettet hatte.
»Du hast mich zu Tode erschreckt. Wo warst du? Ich habe die ganze Nacht auf dich gewartet. So was tust du mir nicht noch einmal an, hörst du?«
Mein ganzer Körper schmerzte, selbst beim bloßen Nicken. Ich legte mich wieder hin. Marina hielt mir ein Glas kaltes Wasser an die Lippen, das ich austrank, so schnell es ging.
»Noch eins, nicht wahr?«
Ich schloss die Augen und hörte sie das Glas nachfüllen.
»Und Germán?«, fragte ich.
»Ist in seinem Atelier. Er hat sich Sorgen gemacht um dich. Ich habe ihm gesagt, dir sei etwas schlecht bekommen.«
»Und das hat er geglaubt?«
»Mein Vater glaubt alles, was ich ihm sage«, antwortete Marina ohne Arglist.
Sie reichte mir das Glas.
»Was macht er denn stundenlang in seinem Atelier, wo er doch gar nicht mehr malt?«
Marina umfasste mein Handgelenk und prüfte den Puls.
»Mein Vater ist ein Künstler«, sagte sie dann. »Künstler leben in der Zukunft oder in der Vergangenheit, niemals in der Gegenwart. Germán lebt von Erinnerungen. Das ist alles, was er hat.«
»Er hat dich.«
»Ich bin die größte seiner Erinnerungen.« Sie schaute mir in die Augen. »Ich hab dir was zu essen gebracht. Du musst wieder zu Kräften kommen.«
Ich winkte ab. Allein die Vorstellung zu essen verursachte mir Brechreiz. Marina legte mir eine Hand auf den Nacken und stützte mich, während ich wieder trank. Das kalte, reine Wasser war wie eine Segnung.
»Wie spät ist es?«
»Fast vier. Du hast acht Stunden geschlafen.«
Ihre Hand lag jetzt auf meiner Stirn und verharrte einige Sekunden.
»Wenigstens hast du kein Fieber mehr.«
Ich öffnete die Augen und lächelte. Marina betrachtete mich ernst, blass.
»Du warst völlig außer dir und hast im Traum gesprochen …«
»Was hab ich denn gesagt?«
»Dummes Zeug.«
Ich hielt mir die Finger an den schmerzenden Hals.
»Nicht anfassen«, sagte Marina und schob meine Hand weg. »Du hast eine tiefe Wunde am Hals. Und Schnitte an Schultern und Rücken. Wer hat dir das zugefügt?«
»Ich weiß es nicht …«
Sie seufzte ungeduldig.
»Ich war halb tot vor Angst. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich bin zu einer Telefonzelle gegangen, um Florián anzurufen, aber in der Kneipe sagte man mir, du hättest schon angerufen und der Inspektor sei gegangen, ohne zu sagen, wohin. Kurz vor dem Morgengrauen rief ich wieder an, und er war noch nicht zurück.«
»Florián ist tot.« Ich merkte, wie mir die Stimme brach, als ich den Namen des armen Inspektors aussprach. »Gestern Nacht bin ich wieder zum Friedhof gegangen«, begann ich.
»Du bist verrückt«, unterbrach mich Marina.
Vermutlich hatte sie recht. Wortlos gab sie mir ein drittes Glas Wasser. Ich trank es bis auf den letzten Tropfen aus. Dann schilderte ich ihr langsam, was in der Nacht vorgefallen war. Als ich zum Ende gekommen war, schaute sie mich nur schweigend an. Ich hatte den Eindruck, es beschäftige sie sonst noch etwas, etwas, was nichts mit alledem zu tun hatte, das ich ihr eben erzählt hatte. Sie beschwor mich, zu essen, was sie mir gebracht hatte, ob hungrig oder nicht, und reichte mir Brot mit Schokolade. Sie wandte kein Auge von mir, bis ich fast die halbe Tafel und ein Brötchen von der Größe eines Taxis verschlungen hatte. Der Peitschenhieb des Zuckers im Blut ließ nicht auf sich warten, und bald fühlte ich neues Leben in mir.
»Während du geschlafen hast, habe ich ebenfalls Detektiv gespielt«, sagte Marina und wies auf einen dicken ledergebundenen Band auf dem Nachttisch.
Ich las den Titel auf dem Rücken.
»Interessierst du dich für Entomologie?«
»Für Ungeziefer. Ich habe unseren Freund gefunden, den schwarzen Schmetterling.«
»Teufel …«
»Ein anbetungswürdiges Geschöpf. Lebt in Tunneln und Kellern, fern vom Licht. Hat einen Lebenszyklus von vierzehn Tagen. Vor dem Tod gräbt er seinen Körper in den Untergrund ein, und nach drei Tagen ersteht eine neue Larve aus ihm.«
»Eine Auferstehung?«
»So könnte man es nennen.«
»Und wovon ernährt er sich?«, fragte ich. »In Tunneln gibt es weder Blüten noch Pollen.«
»Er frisst seinen Nachwuchs«, erklärte Marina. »Da ist schon alles da. Das exemplarische Leben unserer Cousins, der Insekten.«
Sie trat zum Fenster
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