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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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stehen. Ich hob den Revolver und zielte. Das Knacken des Schlagbolzens beim Entsichern verlor sich im Echo der Galerie. Das bewirkte, dass sie sich umdrehte.
    »Ich versuche nur, Michails Seele zu retten«, sagte sie.
    »Ich weiß nicht, ob Sie Kolweniks Seele retten können, Ihre eigene aber schon.«
    Die Dame schaute mich wortlos an und sah sich dem bedrohlichen Revolver in meinen zitternden Händen gegenüber.
    »Wärst du fähig, kaltblütig auf mich zu schießen?«, fragte sie.
    Ich gab keine Antwort, da ich keine hatte. Das Einzige, was meinen Geist gefangen hielt, war das Bild von Marina in Kolweniks Klauen und die wenigen Minuten, die noch blieben, bis die Flammen über dem Gran Teatro Real endgültig die Höllentore öffneten.
    »Deine Freundin muss dir viel bedeuten.« Ich nickte und glaubte zu sehen, wie diese Frau das traurigste Lächeln ihres Lebens andeutete. »Weiß sie es?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich, ohne nachzudenken.
    Sie nickte langsam und zog das smaragdfarbene Fläschchen hervor.
    »Du und ich, wir sind gleich, Óscar. Wir sind allein und dazu verdammt, jemanden zu lieben, für den es keine Rettung gibt …«
    Sie reichte mir das Fläschchen. Ich senkte die Waffe, legte sie auf den Boden und ergriff es mit beiden Händen. Bei seinem Anblick fiel mir ein Stein vom Herzen. Ich wollte mich bedanken, doch Ewa Irinowa war schon nicht mehr da. Der Revolver auch nicht.
     
     
    Als ich in den obersten Rang gelangte, lag das ganze Haus zu meinen Füßen in den letzten Zügen. Ich lief zum Ende der Galerie und suchte einen Eingang ins Gewölbe der Bühnenmaschinerie. Plötzlich schoss eine der Türen in Flammen gehüllt aus den Angeln. Ein Feuerstrom überschwemmte die Galerie. Ich war gefangen. Verzweifelt schaute ich mich um und sah einen einzigen Ausweg – die Fenster, die nach außen gingen. Ich lief auf die rauchgetrübten Scheiben zu und konnte auf der anderen Seite ein schmales Gesims sehen. Das Feuer bahnte sich seinen Weg zu mir. Wie von einem teuflischen Atem berührt, barsten die Fensterscheiben. Meine Kleider rauchten. Ich konnte die Flammen auf der Haut spüren. Ich glaubte zu ersticken und sprang auf das Gesims hinaus. Die kalte Nachtluft peitschte mich, und weit unten sah ich die Straßen von Barcelona. Der Anblick war grauenhaft. Das Feuer hatte das Gran Teatro Real vollkommen eingehüllt. Das Gerüst war zu Asche geworden und eingestürzt. Die ehemalige Fassade erhob sich wie ein majestätischer Barockpalast, eine Flammenkathedrale im Zentrum des Raval. Die Sirenen der Feuerwehr jaulten, als beklagten sie ihre Ohnmacht. Neben der Metallnadel, in der das Netz der stählernen Kuppelnerven zusammenlief, hielt Kolwenik Marina fest.
    »Marina!«, schrie ich.
    Ich tat einen Schritt nach vorn und klammerte mich instinktiv an einen Metallbogen, um nicht hinunterzustürzen. Er glühte. Ich schrie vor Schmerz auf und zog die Hand zurück. Die schwarze Handfläche rauchte. In diesem Augenblick durchfuhr ein neues Schütteln den Bau, und ich erriet, was geschehen würde. Mit ohrenbetäubendem Getöse stürzte das Theater ein, und nur die Fassade und das nackte Metallskelett blieben noch intakt, ein über die Hölle gespanntes Stahlnetz. In seiner Mitte stand Kolwenik. Ich konnte Marinas Gesicht sehen. Sie lebte. So tat ich das Einzige, was sie retten konnte.
    Ich hielt das Fläschchen so in die Höhe, dass Kolwenik es sehen konnte. Er löste Marina von seinem Körper und näherte sie dem Abgrund. Ich hörte sie aufschreien. Dann streckte er mir seine offene Klaue entgegen. Die Botschaft war deutlich. Vor mir befand sich ein Metallträger wie eine Brücke. Ich ging darauf zu.
    »Nein, Óscar!«, flehte Marina.
    Ich heftete die Augen auf den schmalen Steg und wagte es. Ich spürte, wie sich meine Schuhsohlen bei jedem Schritt mehr auflösten. Der stickige Wind, der vom Feuer aufstieg, brüllte um mich herum. Schritt für Schritt, ohne die Augen vom Steg abzuwenden, wie ein Seiltänzer. Ich schaute nach vorn und erblickte eine entsetzte Marina. Sie war allein! Als ich sie umarmen wollte, erhob sich hinter ihr Kolwenik. Er packte sie von neuem und hielt sie über den Abgrund. Ich zog das Fläschchen hervor und tat ein Gleiches, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich es in die Flammen werfen würde, wenn er Marina nicht gehen ließe. Ich erinnerte mich an Ewa Irinowas Worte: »Er wird euch beide umbringen …« So schraubte ich das Fläschchen auf und vergoss einige Tropfen in den Abgrund.

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