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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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die Geräusche von vorhin irgendwie in seinem Gedächtnis eingenistet? Freitag abend um sieben? Auf der offiziellen Leitung? Wahrscheinlich jemand, der sich verwählt hatte. Die Neugier siegte, und er drückte die Abhörtaste. Ein elektronischer Pfeifton ertönte, gefolgt von Frau Ellenbergers höflicher Aufforderung auf deutsch und englisch, der Anrufer möge eine Nachricht hinterlassen oder es während der Geschäftszeiten nochmals versuchen.
    Dann eine Frauenstimme, jung, deutsch und rein wie die Stimme eines Chorknaben.
    * * *
    Das tägliche Brot des Privatbankiers, so predigte Brue seiner geneigten Zuhörerschaft gern nach einem Scotch oder zweien, war nicht, wie man billigerweise erwarten sollte, Geld. Es waren nicht Hausse und Baisse, Hedgefonds und Derivate. Es waren die Pannen. Es war das hartnäckige, ja er wagte sogar zu behaupten, das permanente Blubbern gewisser, wenn er es so derb ausdrücken durfte, Exkremente, die das sprichwörtliche Dampfen begannen. Wenn es einem also etwas ausmachte, in einem unaufhörlichen Belagerungszustand zu leben, dann war man als Privatbankier womöglich in der verkehrten Branche – eine Pointe, die ihm übrigens auch bei seiner vorbereiteten Erwiderung auf die Rede des alten Westerheim einige Lacher eingebracht hatte.
    Und als Veteran solcher Pannen hatte Brue im Lauf der Jahre zwei verschiedene Taktiken für den Moment entwickelt, in dem die Bombe platzte. Wenn er in einer Vorstandssitzung war, wo sich aller Augen auf ihn richteten, stand er auf, hakte die Daumen in den Hosenbund und begann Runden durchs Zimmer zu drehen, sein Gesicht ein Bild der Gelassenheit.
    Unbeobachtet zog er in der Regel Variante Nummer zwei vor: Er erstarrte in der Haltung, in der die schlechte Kunde ihn ereilt hatte, und zupfte mit dem Zeigefinger an seiner Unterlippe. Das tat er auch jetzt, während er die Nachricht ein zweites Mal und dann ein drittes Mal abspielte, angefangen mit dem Pfeifton.
    »Guten Abend. Mein Name ist Annabel Richter, ich bin Anwältin und hätte gern schnellstmöglich mit Herrn Tommy Brue persönlich gesprochen. Es geht um einen Mandanten, den ich vertrete.«
    Vertrete, aber nicht beim Namen nenne, vermerkt Brue nun schon zum dritten Mal methodisch. Der Ton sehr bestimmt, eher süddeutsch, gebildet und nicht zu Umschweifen aufgelegt.
    »Mein Mandant hat mich beauftragt, einem Herrn …«, sie hält inne, als würde sie ihre Aufzeichnungen konsultieren, »einem Herrn Lipizzaner Grüße von ihm zu bestellen. Ich wiederhole: der Name ist Lipizzaner. Wie die Pferderasse, Mr. Brue. Diese berühmten Schimmel in der Spanischen Hofreitschule in Wien, wo Ihre Bank ihren letzten Sitz hatte. Ich glaube, Ihre Bank kennt Lipizzaner sehr gut.«
    Der Ton geht leicht in die Höhe. Eine sachliche Mitteilung über weiße Pferde, und der Chorknabe gerät in Bedrängnis.
    »Mr. Brue, mein Mandant hat sehr wenig Zeit zu seiner Verfügung. Ich möchte am Telefon ungern mehr dazu sagen, wie Sie sicher verstehen. Möglicherweise sind Sie mit seiner Situation sogar besser vertraut als ich, was die Sache beschleunigen sollte. Vielleicht könnten Sie mich ja kurz auf dem Handy zurückrufen, wenn Sie meine Nachricht bekommen, damit wir ein Treffen vereinbaren.«
    Dabei könnte sie es bewenden lassen, aber nein. Die Stimme legt an Schärfe zu.
    »Es kann ruhig spät am Abend sein. Egal, wie spät. Ich habe bei Ihnen gerade noch Licht gesehen, als ich an der Bank vorbeigekommen bin. Vielleicht sind Sie ja auch nicht selbst im Büro, aber jemand anders ist noch da. Wenn das der Fall ist, könnte derjenige meine Nachricht dann bitte in aller Dringlichkeit an Mr. Tommy Brue weiterleiten? Niemand außer Mr. Tommy Brue ist berechtigt, in dieser Angelegenheit zu handeln. Vielen Dank für Ihre Mühe.«
    Und vielen Dank für Ihre Mühe, Frau Annabel Richter, dachte Brue, und die Unterlippe immer noch zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt, stand er auf und machte ein paar rasche Schritte in Richtung Erkerfenster, als wäre dies der schnellste Fluchtweg.
    Allerdings, meine Bank kennt Lipizzaner durchaus, Ma’am, wenn Sie mit Bank mich selbst und meine einzige Vertraute Frau Elli meinen und sonst keine Menschenseele. Meine Bank würde gutes Geld dafür zahlen, auch noch die letzten ihrer überlebenden Lipizzaner endlich auf Nimmerwiedersehen davongaloppieren zu sehen, zurück nach Wien, wo sie herstammen. Aber vielleicht wissen Sie das ja ebenfalls.
    Ein scheußlicher Gedanke kam ihm. Oder vielleicht

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