Marionetten
Millionen deponiert haben, muß ich, wie sich das bei Erpressung gehört, wohl oder übel auf Ihre Forderung eingehen.
Er wählte ihre Nummer.
»Richter.«
»Hier ist Tommy Brue von Brue Frères. Guten Abend, Frau Richter.«
»Guten Abend, Mr. Brue. Ich würde Sie gern so bald treffen, wie Sie es einrichten können.«
Sprich: jetzt. Etwas weniger melodisch und mit deutlich mehr Schärfe als vorhin, als sie um seine Aufmerksamkeit gebuhlt hatte.
* * *
Zum Hotel Atlantic waren es von der Bank aus zehn Minuten zu Fuß, einen belebten Sandweg entlang, der dem Alsterufer folgte. Auf einem zweiten Weg daneben schnurrten Radfahrer unter Flüchen heimwärts. Ein kalter Wind war aufgekommen, und der Himmel hatte sich blauschwarz verfärbt. Erste lange Regentropfen fielen. Bindfäden sagten sie in Hamburg dazu. Vor sieben Jahren, als Brue neu in der Stadt gewesen war, hätten letzte Reste seiner britischen Gehemmtheit den Weg durch das Gedränge zu einem sehr mühsamen gemacht. Heute pflügte er seine eigene Furche, einen Ellbogen in Bereitschaft, um übergriffige Regenschirme aus dem Feld zu schlagen.
Vor dem Eingang des Atlantic zog ein rotlivrierter Portier den Zylinder vor ihm. In der Hotelhalle glitt Herr Schwarz, der Empfangschef, auf ihn zu und geleitete ihn zu dem Tisch, an dem Brue immer saß, wenn ein Kunde seine Geschäfte lieber außerhalb der Bank besprechen wollte. Er stand ganz am Ende der Halle, zwischen einer Marmorsäule und Ölgemälden von Hanseschiffen, bewacht von dem verdrossen blickenden Wilhelm II., dessen Konterfei in meerblaue Kacheln gebannt war.
»Ich erwarte eine Dame, mit der ich bisher noch nicht das Vergnügen hatte, Peter«, vertraute Brue dem Empfangschef mit komplizenhaftem Lächeln an. »Eine Frau Richter. Ich hatte den Eindruck, sie ist jung. Sorgen Sie doch bitte dafür, daß sie auch hübsch ist.«
»Ich tue mein Bestes«, versprach Herr Schwarz feierlich, um zwanzig Euro reicher als zuvor.
Unvermittelt mußte Brue an eine schmerzhafte Unterhaltung denken, die er mit seiner Tochter geführt hatte, als Georgie gerade mal neun war. Mummy und Daddy hätten sich immer noch lieb, hatte er ihr erklärt, nur wollten sie nicht mehr zusammenleben. Besser als gute Freunde getrennt leben als immer nur streiten, sagte er ihr, genau wie sein verhaßter Psychiater es ihm geraten hatte. Und besser zwei glückliche Zuhause als ein unglückliches. Und Georgie könne Mummy und Daddy so oft sehen, wie sie wolle, nur eben nicht zusammen wie bisher. Aber Georgie hatte nur Augen für ihr neues Hündchen.
»Wenn ein Schilling das einzige wäre, was du auf der ganzen Welt hättest, was würdest du dann damit machen?« wollte sie plötzlich wissen und kratzte nachdenklich den Bauch des Welpen.
»Ihn investieren, Schätzchen, was sonst? Was würdest du denn machen?«
»Ihn wem als Trinkgeld geben«, erwiderte sie.
Irritiert weniger von Georgies Antwort als von sich selbst, versuchte Brue dahinterzukommen, warum er sich ausgerechnet jetzt mit dieser Geschichte kasteite. Muß an der Ähnlichkeit der Stimmen liegen, entschied er, den Blick auf die Drehtür gerichtet. Wird sie verkabelt sein? Wird ihr »Mandant«, wenn sie ihn denn mitbringt, verkabelt sein? Nun, es wird ihnen nichts nützen.
Er rief sich das letzte Mal ins Gedächtnis, als er einer Erpresserin gegenübergesessen hatte: ein anderes Hotel, eine andere Frau, Engländerin, aber wohnhaft in Wien. Auf Drängen eines Kunden, der sich mit seinem Problem keinem anderen anvertrauen mochte, hatte sich Brue in einem der separaten Wintergärten des Café Sacher mit ihr zum Tee getroffen. Sie war eine stattliche Bordellwirtin in Witwentracht. Ihr Mädchen hieß Sophie.
»Sie ist eine von meinen Besten, die Sophie, deshalb ist mir die Sache natürlich sehr peinlich«, hatte sie ihm erklärt, die Krempe ihres schwarzen Strohhuts tief ins Gesicht gezogen. »Nur will sie damit partout zur Zeitung gehen, verstehen Sie? Ich habe ihr gesagt, sie soll es bleibenlassen, aber sie will nicht hören, sie ist ja so jung. Er geht ziemlich zur Sache, Ihr Freund, das kann schon mal unschön werden. Tja, niemand liest gern Geschichten über sich, nicht wahr? Nicht in der Zeitung. Und schon gar nicht, wenn er Geschäftsführer eines großen Unternehmens ist. Da kann so etwas schon weh tun.«
Aber Brue hatte den Rat des Wiener Polizeipräsidenten eingeholt, der ebenfalls Kunde bei Frères war. Und so stimmte er demütig einem Schweigegeld von astronomischer Höhe
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