Marionetten
zu, während die Zivilfahnder der Wiener Polizei die Unterhaltung vom Nebentisch aus mitschnitten.
Diesmal jedoch stand ihm kein Polizeipräsident zur Seite, und das anvisierte Opfer war nicht einer seiner Kunden, sondern er selbst.
* * *
In dem weitläufigen Foyer des Atlantic herrschte ähnlich reger Betrieb wie auf der Straße draußen. Von seinem Aussichtsposten beobachtete Brue in scheinbarer Gemütsruhe das Kommen und Gehen. Manche der Gäste trugen Pelze und Federboas, andere die Begräbniskluft des modernen Managers, wieder andere die zerschlissenen Jeans des Millionärs im Pennergewand.
Aus einem Korridor kam eine Prozession von älteren Herren im Smoking und Damen in paillettenbesetzten Abendkleidern geschritten, angeführt von einem Pagen, der ein Wägelchen mit zellophanumhüllten Bouquets vor sich herschob. Jemand Altes und Reiches feiert Geburtstag, dachte Brue und überlegte eine Sekunde, ob es sich womöglich um einen Kunden von ihm handelte und ob Frau Elli ein Fläschchen übersandt hatte. Wahrscheinlich auch nicht älter als ich, sagte er sich tapfer.
Ob andere in ihm einen alten Mann sahen? Im Zweifelsfall ja. Seine erste Frau Sue hatte sich immer darüber beschwert, daß er alt geboren sei. Gut, sechzig war kein Alter, es sei denn, man starb vorher. Was hatte Georgie damals zu ihm gesagt, als sie ihre ersten buddhistischen Anwandlungen hatte? »Die Ursache des Todes ist die Geburt.«
Er warf einen Blick auf die goldene Armbanduhr, die er von Edward Amadeus zum einundzwanzigsten Geburtstag bekommen hatte. Noch zwei Minuten, dann ist sie zu spät dran, aber Anwälte und Bankiers verspäten sich nie. Genausowenig, vermutete er, wie Erpresser.
Draußen vor der Glastür fegte ein Windstoß die Straße hinab. Die Livreeschöße des Portiers flatterten wie nutzlose Schwingen, während er von einer Limousine zur anderen hastete. Dann entlud sich der Wolkenbruch, und Autos wie Menschen verschwanden in einem milchigen Nebel. Und aus diesem Nebel trat wie die einzige Überlebende eines Lawinenunglücks eine kleine untersetzte Gestalt in sackartigen Kleidern und einem großen Tuch um Kopf und Hals. Einen bestürzten Moment lang bildete Brue sich ein, ihr hänge ein Kind über der Schulter, aber dann begriff er, daß es ein großer Rucksack war.
Sie stieg die Stufen hinauf, ließ sich von der Drehtür mitnehmen, trat in die Hotelhalle und blieb stehen. Sie blockierte den Eingang, aber wenn sie das überhaupt bemerkte, dann interessierte es sie nicht. Sie nahm die regenverspritzte Brille ab, zog ein Ende des Tuchs aus den Tiefen ihres Anoraks, rieb damit an den Gläsern herum und setzte sie wieder auf. Herr Schwarz sprach sie an, sie antwortete mit einem knappen Nicken. Beide sahen in Brues Richtung. Herr Schwarz wollte sie hinführen, aber sie schüttelte den Kopf. Den Rucksack auf einer Schulter, kam sie zwischen den Tischen hindurch auf ihn zu, ohne einen Blick nach rechts oder links, als wären die anderen Gäste Luft.
Kein Make-up, nicht ein Millimeter nackte Haut vom Kinn abwärts, registrierte Brue, als er aufstand, um sie zu begrüßen. Energische, fließende Bewegungen eines kleinen, leistungsfähigen Körpers unter der unkleidsamen Verpackung. Ein bißchen martialisch, aber so waren die Frauen von heute nun mal. Runde rahmenlose Brillengläser, die das Licht der Kronleuchter einfingen. Blinzelfrequenz gleich null. Kinderhaut. An die dreißig Jahre jünger als ich und einen guten Kopf kleiner, aber Erpresser gibt es in allen Formen und Farben, und sie erlernen ihr Handwerk immer früher. Ein Chorknabengesicht, passend zur Stimme.
Kein Komplize in Sicht. Dunkelblaue Jeans, Springerstiefel. Eine Miniaturschönheit im Tarnanzug. Tough und dabei verletzlich, trotzig gewillt, nicht als Frau erkennbar zu sein, aber nur mit bedingtem Erfolg. Georgie.
»Frau Richter? Es ist mir eine Freude. Ich bin Tommy Brue. Was darf ich Ihnen bestellen?«
Die Hand so klein, daß er seinen Griff instinktiv lockerte.
»Bekommt man hier Wasser?« Drohend sah sie durch die Brillengläser zu ihm hoch.
»Aber selbstverständlich.« Er winkte einen Kellner herbei. »Sind Sie zu Fuß da?«
»Mit dem Rad. Stilles bitte. Ohne Zitrone. Zimmertemperatur.«
* * *
Den Rucksack zu ihren Füßen, saß sie ihm gegenüber, kerzengerade in der Mitte ihres ledernen Throns, die Hände auf den Lehnen aufgestützt, Knie eng zusammen, und betrachtete ihn eingehend: die Hände zuerst, dann seine goldene Uhr und die Schuhe, danach
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