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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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einzige, was wir schriftlich haben, sind der Name Ihrer Bank und eine Kennummer«, antwortete sie bündig.
    Brue setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Lassen Sie mich Ihnen mein kleines Problem erklären, Issa«, sagte er auf russisch, wozu er aus den vielen Stimmen, die in seinem Kopf durcheinandertönten, die des vernünftigen Mannes auswählte, der eins und eins zusammenzählt. »Wir haben einen Anatolij, der Ihrer Aussage zufolge der Anwalt Ihres Vaters ist oder war. Wir haben einen Oberst Karpow, der Ihrer Aussage zufolge Ihr leiblicher Vater ist, auch wenn Sie ihn ansonsten verleugnen. Aber einen haben wir nicht, und das sind Sie, nicht wahr? Sie haben keine Papiere, und Sie haben, aus welchem Grund auch immer, laut Ihren eigenen Angaben ein längeres Vorstrafenregister, was auf einen Bankier nicht gerade einen vertrauenswürdigen Eindruck macht.«
    »Ich bin Muslim, mein Herr!« protestierte Issa mit erregter Stimme und einem erneuten hilfesuchenden Blick zu Annabel. »Ich bin ein tschetschenischer Schwarzarsch! Wozu brauche ich einen Grund, um ins Gefängnis zu wandern?«
    »Aber Sie müssen mich überzeugen«, fuhr Brue unerbittlich fort, ohne sich um Meliks finsteres Gesicht zu kümmern. »Ich muß wissen, wie Sie in den Besitz vertraulicher Informationen über einen hochgeschätzten Kunden meiner Bank gekommen sind. Ich muß, wenn Sie gestatten, Ihren familiären Hintergrund noch etwas genauer ausleuchten, und ich würde gern dort anfangen, wo auf dieser Welt alle guten und schlechten Dinge ihren Anfang nehmen: bei Ihrer Mutter.« Es war grausam von ihm, das wußte er, und es war ihm ganz recht so. Meliks Warnung hin oder her, Issas groteske Imitation von Edward Amadeus ekelte ihn immer noch an. »Wer ist sie, Ihre werte Mutter, beziehungsweise wer war sie? Haben Sie Geschwister, lebende oder verstorbene?«
    Zuerst sagte Issa kein Wort. Den spindeldürren Körper über den Tisch gestreckt, die Ellbogen aufgestützt, so daß ihm das Goldkettchen, das er inzwischen wieder angelegt hatte, den mageren Unterarm herabrutschte, den Kopf in den hochgestellten Mantelkragen geduckt, hielt er sich mit seinen langen Händen schützend die Stirn. Dann hob er jäh das Gesicht, und aus den Zügen des Kindes wurden die eines erwachsenen Mannes:
    »Meine Mutter ist tot, mein Herr. Ganz und gar tot. Meine Mutter starb viele Tode. Sie starb an dem Tag, an dem Karpows Truppen sie aus ihrem Dorf entführten und in die Kaserne verschleppten, wo Karpow sie schändete. Sie war fünfzehn Jahre alt. Sie starb an dem Tag, an dem die Dorfältesten entschieden, daß sie an ihrer Schändung mitschuldig sei, und einen ihrer Brüder hinter ihr her schickten, um sie nach der Tradition unseres Volkes zu töten. Sie starb an jedem Tag, den sie mich unter ihrem Herzen trug, denn sie wußte, sobald sie mich zur Welt gebracht hätte, würde sie ebendiese Welt verlassen müssen und ihr Kind würde in ein Militärwaisenhaus für die Kinder geschändeter tschetschenischer Mütter gesteckt. Mit ihrem Tod behielt sie recht, nicht aber mit den Handlungen des Mannes, der ihn zu verantworten hatte. Als Karpows Regiment nach Moskau zurückgerufen wurde, beschloß er, den Jungen als Trophäe mitzunehmen.«
    »Sie waren zu dem Zeitpunkt wie alt?«
    »Mein Herr, der Junge war sieben Jahre alt. Alt genug, um die Wälder, Berge und Flüsse Tschetscheniens gesehen zu haben. Alt genug, um dorthin zurückzukehren, so oft Gott es zuließ. Mein Herr, ich möchte noch eine weitere Erklärung abgeben.«
    »Bitte sehr.«
    »Sie sind ein gütiger und bedeutender Mann. Sie sind ein englischer Ehrenmann, kein russischer Barbar. Die Tschetschenen haben einst davon geträumt, eine englische Königin zu bekommen, die sie vor dem russischen Tyrannen beschützen sollte. Ich werde Ihren Schutz annehmen, wie es Karpow von Ihrem verehrten Vater zugesagt wurde, und im Namen Gottes danke ich Ihnen von Herzen. Aber das Geld, von dem wir sprechen, ist Karpows Geld, darum muß ich es, so leid es mir tut, ablehnen. Nicht einen Euro, nicht einen Dollar, nicht einen Rubel, nicht ein englisches Pfund, bitte. Es ist das Geld imperialistischer Räuber und Ungläubiger und Kreuzritter. Es ist Geld, das sich durch Wucher vermehrt hat, was gegen unser göttliches Gesetz verstößt. Es ist Geld, das mir die schwierige Reise hierher ermöglicht hat, aber mehr werde ich davon nicht anrühren. Beschaffen Sie mir nur gütigst einen deutschen Paß und eine Aufenthaltsgenehmigung und einen Ort,

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