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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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nachdem wieder Ruhe eingekehrt war. »Als Ihre Anwältin bin ich der Meinung, daß Sie versuchen sollten, die Frage dieses Herrn zu beantworten, auch wenn es Ihnen schwerfällt.«
    »Mein Herr. Gott ist groß, und ich möchte nur ein geordnetes Leben führen«, wiederholte Issa mit erstickter Stimme.
    »Leider muß ich trotzdem auf einer Antwort beharren.«
    »Es ist logisch betrachtet wahr, daß Karpow mein Vater ist«, bekannte Issa schließlich mit einem freudlosen Lächeln. »Er hat alles getan, was die Natur verlangt, um diesen Titel zu erwerben, davon bin ich überzeugt. Aber ich war nie Karpows Sohn. Ich bin auch jetzt nicht Karpows Sohn. So Gott will, werde ich in meinem ganzen Leben niemals Oberst Grigorij Borisowitsch Karpows Sohn sein.«
    »Aber Oberst Karpow ist doch anscheinend tot«, stellte Brue mit unnötiger Brutalität fest und deutete auf die Zeitungsausschnitte, die zwischen ihnen auf dem Tisch lagen.
    »Er ist tot, mein Herr, und so Gott will, ist er in der Hölle, wo er hoffentlich auf ewig bleiben wird.«
    »Und bevor er gestorben ist – oder sagen wir lieber, zu der Zeit, als Sie geboren wurden – welchen Vornamen hat er Ihnen zusätzlich zu Ihrem Vatersnamen gegeben, der ja vermutlich Grigorijewitsch lauten dürfte?«
    Issa ließ den Kopf hin und her baumeln.
    »Er suchte den reinsten Namen für mich aus«, sagte er dann, und er hob den Blick und lächelte Brue vielsagend an.
    »In welcher Hinsicht rein?«
    »Von allen russischen Namen auf der Welt den russischsten. Ich war sein Iwan. Sein lieber kleiner Iwan aus Tschetschenien.«
    Da es nicht seine Art war, Salz in offene Wunden zu streuen, beschloß Brue einen Themenwechsel.
    * * *
    »Wenn ich es richtig verstehe, sind Sie aus der Türkei nach Deutschland gekommen? Auf informellen Wegen, wenn wir es einmal so ausdrücken wollen?« Brue hatte den munteren Plauderton angeschlagen, mit dem er auf einer Cocktailparty Smalltalk betrieb. Entgegen Annabels Anweisungen war Leyla aus der Küche zurückgekommen.
    »Ich war in der Türkei im Gefängnis, mein Herr.« Er hatte sein Goldkettchen abgenommen und nestelte beim Sprechen nervös daran herum.
    »Und für wie lange, wenn ich fragen darf?«
    »Exakt einhundertelfeinhalb Tage. Der Aufenthalt in einem türkischen Gefängnis bietet jeden Anreiz, die Arithmetik der Zeit zu studieren«, rief Issa mit einem harschen, unheimlichen Lachen. »Und vor der Türkei war ich in Rußland im Gefängnis! Genauer gesagt in drei Gefängnissen, und zwar über einen Zeitraum von insgesamt achthundertvierzehn Tagen und sieben Stunden. Wenn Sie es wünschen, liste ich Ihnen meine Gefängnisse gern nach Qualität gestaffelt auf«, redete er sich in Fahrt, die Stimme schwärmerisch erhoben. »Ich bin ein Gefängnis-Connaisseur, müssen Sie wissen! Eine der Anstalten war so beliebt, daß man sie in drei Teile aufteilen mußte. O ja! In dem einen Teil haben wir geschlafen, in einem anderen wurden wir gefoltert, und im dritten befand sich das Krankenhaus, in dem wir wiederhergestellt wurden. Die Folter war effizient, und nach der Folter schläft man gut, aber das Krankenhaus ließ zu wünschen übrig. Das ist ein Problem unseres modernen russischen Staates, wenn Sie mich fragen. Die Pfleger trugen versiert Sorge für den Schlafentzug, aber an anderen medizinischen Fertigkeiten mangelte es ihnen spürbar. Erlauben Sie mir eine Bemerkung, mein Herr. Um ein guter Folterer zu sein, braucht man vor allen Dingen Einfühlungsvermögen. Ohne ein mitfühlendes Naturell wird man den Gipfel seiner Kunst nie erklimmen. Ich habe nur ein, zwei Folterer getroffen, die es bis in die Meisterklasse geschafft haben.«
    Brue wartete ab, ob noch mehr käme, aber Issa, die dunkel lodernden Augen weit aufgerissen, wartete seinerseits auf Brue. Und abermals war es wider Erwarten Leyla, die die Situation rettete. Sie sah Issas Aufgewühltheit, auch wenn sie den Grund nicht kannte, und lief eilig zurück in die Küche, um mit einem Glas Sirup wiederzukommen, das sie vor ihn auf den Tisch stellte, wobei sie zuerst Brue und dann Annabel mit einem vorwurfsvollen Blick bedachte.
    »Und darf man fragen, warum Sie überhaupt ins Gefängnis gekommen sind?« nahm Brue den Faden wieder auf.
    »Aber ja, mein Herr! Bitte fragen Sie! Fragen Sie nur!« rief Issa mit der ganzen Todesverachtung eines Aufklärers auf dem Schafott. »Tschetschene zu sein ist Verbrechen genug, das versichere ich Ihnen. Wir Tschetschenen werden zutiefst schuldig geboren. Schon in

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