Marionetten
die Stimmung im Haus sofort richtig und bezichtigte Melik, seine Gastgeberpflichten mit Füßen getreten und Schande über den Namen seines Vaters gebracht zu haben. Dann verschwand auch sie in ihrem Zimmer, wo sie in anschuldigender Abgeschiedenheit ausharrte, bis es Zeit war, das Abendessen zuzubereiten. Bald durchzogen Kochdüfte das Haus, aber Melik blieb auf seinem Bett liegen. Um halb neun schlug sie ihren Messinggong, ein vielgeliebtes Hochzeitsgeschenk, in dessen Klang für Melik immer ein Vorwurf mitschwang. In Momenten wie diesem duldete sie kein Trödeln, wie er gut wußte, deshalb schlurfte er hinunter in die Küche, wich ihrem Blick aber aus.
»Issa, Lieber, kommst du bitte herunter?« rief Leyla, und als die Antwort ausblieb, griff sie nach dem Spazierstock ihres Mannes, klopfte mit seiner Gummikappe an die Decke und sah dabei anklagend zu Melik, der unter ihrem frostigen Starren lostrottete, um zum Speicher hinaufzuklettern.
Issa lag in der Unterhose auf seiner Matratze zusammengerollt, verkrümmt, schweißgebadet. Das Kettchen seiner Mutter hatte er abgenommen und krampfte die verschwitzte Hand darum. Um seinen Hals hing ein angeschmuddelter Lederbeutel, der mit einem Riemen zugebunden war. Seine Augen standen weit offen, doch sie schienen Melik nicht zu sehen. Melik wollte ihn an der Schulter fassen – und fuhr entsetzt zurück. Issas Oberkörper war eine Buckellandschaft aus blauen und orangegelben Striemen. Manche mochten von Peitschenschlägen herrühren, andere eher von Knüppelhieben. An seinen Fußsohlen – denselben Fußsohlen, die die Hamburger Gehsteige entlanggelaufen waren – konnte Melik eiternde Brandwunden ausmachen, große, runde Zigarettenlöcher. Er richtete ihn ein Stück auf, schlang ihm eine Decke um die Mitte, damit er züchtig verhüllt war, und hob ihn dann behutsam hoch, um den teilnahmslosen Körper durch die Falltür in Leylas wartende Arme herabzulassen.
»Legen wir ihn in mein Bett«, flüsterte Melik unter Tränen. »Ich schlafe auf dem Boden. Das macht mir gar nichts. Ich geb ihm auch meine Schwester, damit sie für ihn lächelt«, fügte er hinzu, als ihm die gestohlene Miniatur auf dem Speicher einfiel, und stieg die Leiter wieder hoch, um sie zu holen.
* * *
Issas zerschundener Körper lag in Meliks Bademantel gepackt, seine striemenbedeckten Beine hingen über das Fußende von Meliks Bett, sein glasiger Blick ruhte stier auf Meliks Ruhmesgalerie: den Siegerphotos, den Meistergürteln, den Handschuhen, mit denen er sich den Titel erboxt hatte. Neben ihm auf dem Boden kauerte Melik selbst. Er hatte auf eigene Kosten einen Arzt holen wollen, aber Leyla hatte es ihm verboten. Zu gefährlich. Für Issa, aber für uns auch. Was wird sonst aus unserem Einbürgerungsverfahren? Bis morgen wird das Fieber gesunken sein, und es wird ihm bessergehen.
Aber das Fieber sank nicht.
Dichtverhüllt machte sich Leyla auf den Weg zu einer Moschee auf der anderen Seite der Stadt, in der ein neuer türkischer Arzt seine Gebete verrichten sollte. Sie fuhr sogar ein Stück mit dem Taxi, um ihre vermeintlichen Verfolger irrezuführen. Nach drei Stunden kam sie zurück, wutentbrannt. Der neue junge Arzt war ein Idiot und ein Scharlatan. Er begriff nichts. Es mangelte ihm an den elementarsten Qualifikationen. Ihm fehlte der Sinn für seine religiöse Verantwortung. Es hätte sie nicht gewundert, wenn er gar kein richtiger Arzt war.
Wenigstens war in ihrer Abwesenheit Issas Fieber ein wenig zurückgegangen, so daß sie nun wieder die Krankenschwester zu spielen wagte wie damals, als sie sich noch keinen Arzt leisten konnten oder sich nicht getrauten, einen aufzusuchen. Hätte Issa innere Verletzungen davongetragen, so befand sie, dann hätte er niemals solche Mengen in sich hineinfuttern können, darum konnte sie ihm jetzt ohne Bedenken Aspirin gegen sein nachlassendes Fieber geben und ihm eins ihrer Krankensüppchen kochen, Reiswasser, versetzt mit einem Schuß türkischen Kräutertranks.
Ihr selbst hätte Issa, ob gesund oder tot, nie und nimmer erlaubt, sich an seinem nackten Körper zu schaffen zu machen, darum drückte sie Melik Handtücher, eine Kompresse für Issas Stirn und eine Schüssel voll kaltem Wasser in die Hand, mit dem er ihn stündlich abreiben sollte. Um das zu bewerkstelligen, sah sich der reuegeplagte Melik gezwungen, den Lederbeutel um Issas Hals zu entfernen.
Nur nach langem Zögern (einzig im Interesse seines kranken Gastes, versicherte er sich, und nicht
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