Marionetten
Ermittlungen. Wie du und ich beide wissen.«
»Und wir erst recht, Frau Meyer!« rief Werner vollmundig. »Seit dem ersten Tag unserer Ausbildung! Anwälte sind tabu. Finger weg von ihnen, besonders, wenn es Damen sind!« – eine Zweideutigkeit, die ihm sichtlich auf der Zunge zerging. »Und wir vergessen selbstverständlich auch nicht, daß Sie einer gesetzlichen Geheimhaltungspflicht hinsichtlich Ihres Mandanten unterliegen, Frau Richter. Wir respektieren das. Voll und ganz, stimmt’s, Dinkelmann?«
Das Clownsgrinsen bestätigte es devot: voll und ganz.
»Jeder Versuch unsererseits, Frau Richter zu einem Verstoß gegen ihre Geheimhaltungspflicht zu überreden, wäre absolut gesetzwidrig. Genauso wie jeder Versuch Ihrerseits, Frau Meyer. Selbst Sie dürfen nicht auf sie einwirken. Nicht, wenn sie nicht selbst Gegenstand der Ermittlungen ist, wovon klarerweise keine Rede sein kann. Nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Sie ist Anwältin, sie ist Bundesbürgerin – eine staatstreue, wie wir doch annehmen –, sie kommt aus einer bedeutenden Juristenfamilie. So jemand wird nicht Gegenstand von Ermittlungen, es sei denn, es liegen ganz außergewöhnliche Umstände vor. So wollen es der Geist und der Buchstabe unserer Verfassung, und wir sind dazu da, sie zu schützen. Wer wäre also besser darüber im Bilde als wir?«
Er schwieg, endlich. Und wartete, den Blick unverwandt auf Annabel gerichtet. Alle richteten sie den Blick auf Annabel. Das einzige lächelnde Gesicht war das von Dinkelmann.
»Doch, ich erkenne diesen Mann«, gab sie zu, nach einem längeren Schweigen, das ihre anwaltlichen Skrupel signalisieren sollte. »Das ist einer unserer Klienten. Gar nicht lange her« – an Ursula gewandt und nur an sie –, »du hast ihn nicht gesehen, aber du hast ihn an mich weitergereicht, weil er Russisch spricht.« Gelassen griff sie nach dem Photo, tat so, als würde sie es noch einmal genauer betrachten, und legte es wieder hin.
»Wie heißt er, Frau Richter?« rief ihr Werner ins linke Ohr. »Nicht daß wir Sie drängen wollen. Vielleicht gehört sein Name ja zu den Dingen, die Sie für sich behalten müssen. Wenn ja, werden wir natürlich nicht in Sie dringen. Auch wenn wir ja eigentlich einen Anschlag auf die öffentliche Sicherheit zu vereiteln haben. Aber egal.«
»Er heißt Issa Karpow. Sagt er zumindest« – auch dies strikt an Ursulas Adresse. »Er ist halb Russe, halb Tschetschene. Sagt er. Bei manchen Klienten kann man da ja nicht ganz sicher sein.«
»Oh, aber wir können sicher sein, Frau Richter!« widersprach Werner mit Emphase. »Issa Karpow ist ein islamistischer russischer Krimineller, der schon mehrfach wegen militanter Aktionen vorbestraft ist. Er ist illegal nach Deutschland eingereist – über die Grenze geschleust durch andere Kriminelle, möglicherweise ebenfalls Islamisten – und ist völlig rechtlos in diesem Land.«
»Aber jeder hat doch Rechte«, wandte Annabel mit sanftem Tadel ein.
»Nicht in seiner Situation, Frau Richter. Nicht in seiner Situation.«
»Aber Herr Karpow hat sich ja eigens an Fluchthafen Hamburg gewandt, um seinen Status zu legalisieren«, beharrte Annabel.
Gekünsteltes Auflachen von Werner. »Also bitte! Hat Ihr Mandant Ihnen nicht erzählt, daß er in Göteborg erst einmal aus der Haft entweichen mußte, um sich nach Deutschland einzuschmuggeln? Und dann in Kopenhagen wieder? Nachdem er zuvor schon aus türkischer und davor aus russischer Haft geflohen war?«
»Was mein Mandant mir erzählt hat, geht nur meinen Mandanten und mich an, davon kann ich ohne seine Zustimmung nichts an Dritte preisgeben, Herr Werner.«
Ursula zeigte ihre undurchdringlichste Miene. Herr Dinkelmann neben ihr fuhr sich mit seinen Stumpenfingern sinnend die Lippen entlang und beobachtete Annabel mit väterlichem Lächeln.
»Frau Richter«, hob Werner erneut an, und jetzt ließ sein Tonfall durchblicken, daß seine Geduld Grenzen hatte, »wir suchen dringend nach einem gewaltbereiten Islamisten, der sich dem Zugriff der Behörden entzieht. Er ist ein verzweifelter Mann, und er steht im Verdacht, terroristische Verbindungen zu haben. Es ist unsere Aufgabe, die Öffentlichkeit vor ihm zu schützen. Und Sie zu schützen, Frau Richter. Sie sind eine alleinstehende, wehrlose Frau. Und eine sehr attraktive, wenn ich das hinzufügen darf. Darum bitten wir Sie, und Frau Meyer hier, daß Sie uns dabei helfen, unserer Pflicht nachzukommen. Wo können wir diesen Mann finden? Und meine zweite Frage
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