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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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dritte Frau, die sich nicht als deine Freundin geriert hat. Keine von ihnen hat sich dir vorgestellt. Keine hat in deiner Hörweite irgendeinen Namen benutzt außer deinem eigenen.
    Niemand, nicht einmal Issa, kann dir schildern, was für ein Gefühl das ist, der Freiheit beraubt zu werden, aber allmählich geht es dir auf.
    Du bist eine Juristin, der allmählich ein Licht aufgeht.
    Mit dem schwarzen Saab als Vorhut waren sie in gemessener Prozession an Kirchtürmen und Werften vorbeigerollt, hatten brav an roten Ampeln angehalten, beim Abbiegen korrekt den Blinker gesetzt, waren ohne Hast durch Alleen mit behaglich erleuchteten Villen gefahren, dann durch eine Industriebrache, über Streifen von Eisenzacken, die sich vor ihnen flach auf den Boden klappten, hatten bei einem von Natodrahtrollen flankierten Wachhaus gebremst, aber nicht angehalten, und den rot-weißen Schlagbaum vor dem Saab in die Höhe gehen sehen. Ein flutlichtbestrahlter Asphalthof empfing sie: auf der einen Seite parkende Autos und stumpfäugige Bürogebäude, auf der anderen ein alter Pferdestall, der ein entfernter Verwandter der Ställe auf ihrem Familiengut bei Freiburg zu sein schien.
    Aber der VW-Bus blieb nicht stehen. In langsamem Tempo – verstohlen, wie es Annabel vorkam – fuhr er auf der dunkleren Hofseite weiter, bis er nur wenige Meter vor dem Pferdestall anhielt. Ihre Bewacherinnen machten Annabels Hände von den Eisenringen zwischen den Polstern los, drängten sie hinaus auf die Asphaltfläche und zu einer gerade nur mannshohen Stalltür. Eine dritte, jüngere Frau mit Sommersprossen und einem Jungenhaarschnitt wartete schon auf sie. Sie standen in einer Sattelkammer ohne Sättel. An den Wänden Eisenhaken und Sattelstöcke. Ein alter Tränkeimer mit einer aufgemalten Regimentsnummer. Eine niedrige Polsterbank, darauf eine zusammengefaltete Decke. Eine Waschschüssel wie im Krankenhaus. Seife. Handtücher. Gummihandschuhe.
    Jede der Frauen bewachte ein Drittel von ihr. Die Augen der Sommersprossigen hatten die gleiche Farbe wie die von Annabel. Vielleicht fiel es deshalb ihr zu, das Wort an sie zu richten. Sie schwäbelte leicht – womöglich ein weiterer Grund. Es gibt zwei Möglichkeiten, Annabel, erklärte sie ihr. Wir folgen dem Standardvorgehen für Terrorismussympathisanten. Entweder Sie fügen sich friedlich, oder wir müssen Sie in Gewahrsam nehmen. Was ist Ihnen lieber?
    Ich bin Anwältin.
    Fügen Sie sich oder nicht?
    Also fügte sie sich. Und betete im stillen die Liste nutzloser Ratschläge herunter, die sie ihren Mandanten vor der Verhandlung noch rasch mit auf den Weg zu geben pflegte: Bleiben Sie bei der Wahrheit … verlieren Sie nicht die Beherrschung … fangen Sie nicht an zu weinen … werden Sie nicht laut und versuchen Sie nicht zu flirten … die wollen Sie nicht hassen oder lieben, sie wollen Sie nicht bemitleiden … sie wollen ihre Arbeit tun, ihr Gehalt kassieren und heimgehen.
    * * *
    Die Lifttür öffnete sich auf einen kleinen weißen Raum nicht unähnlich der Kammer, in die man ihre Großmutter gelegt hatte, als sie tot war. Aber an dem kahlen Holztisch, auf dem ihre Großmutter hätte aufgebahrt sein sollen, saß der Mann, der heute morgen Herr Dinkelmann geheißen hatte, und paffte eine Zigarette: russisch, das erkannte sie sofort am Geruch. Die gleichen Zigaretten hatte sich ihr Vater in Moskau gern nach einem guten Essen angesteckt.
    Und neben Herrn Dinkelmann eine große drahtige Frau mit ergrauendem Haar und braunen Augen, die zwar kein bißchen so aussah wie Annabels Mutter, aber die gleiche durchdringende Intelligenz ausstrahlte wie sie.
    Und vor ihnen auf dem Tisch ausgebreitet der Inhalt ihres Rucksacks, wie Beweisstücke vor Gericht, nur ohne die Plastiktütchen und Aufkleber. Und auf der ihr zugewandten Tischseite ein einzelner Stuhl für Annabel, die Angeklagte. Da stand sie, vor der Richterbank, während hinter ihr der Lift rumpelnd und rasselnd seine Abwärtsfahrt antrat.
    »Mein richtiger Name ist Bachmann«, sagte Dinkelmann in einem Ton, als habe sie ihm widersprochen. »Günther Bachmann, falls Sie uns anzeigen wollen. Und das ist Frau Frey. Erna Frey. Sie segelt. Spioniert und segelt. Ich spioniere, aber ich segle nicht. Nehmen Sie doch Platz.«
    Annabel ging zum Tisch und setzte sich.
    »Möchten Sie Ihren Einspruch vielleicht gleich einlegen, damit wir das abhaken können?« fragte Bachmann, Zigarette im Mund. »Auf Ihrem Sonderstatus als Anwältin herumreiten, diesem ganzen

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