Marionetten
für unsere Beziehung. Auf diesem Einvernehmen werden wir aufbauen.«
Entmutigt vergrub sie das Gesicht in den Händen, aber die Geste schien ihn nicht weiter zu interessieren.
»Schicken Sie mich freundlichst nicht in diese Klinik, Annabel. Ich möchte lieber in Ihrer Wohnung bleiben. Wenn Sie zum Islam konvertiert sind, wollen wir zusammen hier wohnen. Sagen Sie das auch Mr. Brue. Und nun verlassen Sie mich, ehe Sie zu einer Provokation für mich werden. Es ist besser, wir geben uns nicht die Hand. Möge Gott mit Ihnen sein, Annabel.«
* * *
Sie hatte ihr Fahrrad im Hauseingang abgestellt. Pelzige Hafenlichter leuchteten durch die Abenddämmerung, und sie mußte mehrmals blinzeln, bevor sie scharf wurden. Der Radweg verlief auf der anderen Straßenseite, also reihte sie sich zwischen die Fußgänger ein, die an der Ampel warteten. Jemand sagte ihren Namen, und einen Moment lang war sie unsicher, ob die Stimme nicht aus ihrem Kopf kam, aber das konnte nicht sein, denn es war eine Frauenstimme, während die Stimme in ihrem Kopf die von Issa war, und als sie sich zwang, näher hinzuhören, schien es ihr, als sei von ihrer Schwester die Rede.
»Annabel! Du meine Güte! Wie geht es dir? Wie geht’s Heidi? Stimmt es, daß sie schon wieder schwanger ist?«
Eine grobschlächtige Frau etwa in ihrem Alter. Grüne Kordsamtjacke, Jeans. Die Haare kurz, das Gesicht ungeschminkt, breites Lächeln. Annabel, deren Gedanken nur mühsam in die Realität zurückfanden, durchforstete ihr Gedächtnis nach einem Anhaltspunkt: Freiburg? Schule? Skiurlaub in Österreich? Der Fitnessclub?
»Ach, mir geht’s gut«, sagte sie. »Heidi auch. Gehst du einkaufen?«
Die Ampel schaltete auf Grün. Zusammen überquerten sie die Straße, Annabels Fahrrad zwischen sich.
»Hallo, Annabel! Wie kommst du denn hierher? Wohnst du nicht mehr in Winterhude?«
Auf Annabels linker Seite, der ohne Rad, war plötzlich noch eine Frau. Drall, mit rosigen Backen und einem bunten Tuch um den Kopf. Sie hatten den Bordstein erreicht, und um sie herum war niemand mehr. Eine kräftige Hand schloß sich um Annabels Handgelenk am Lenker. Eine zweite Hand packte ihren linken Arm und bog ihn ihr, mit einer Geste, die fast als freundschaftlich durchgehen mochte, auf den Rücken. Mit dem Schmerz kehrte messerscharf die Erinnerung an die beiden Frauen zurück, die sie heute morgen an der Tankstelle bemerkt hatte.
»Sie steigen bitte unauffällig ins Auto«, erklärte die zweite Frau, ihre Lippen dicht an Annabels Ohr. »Sie setzen sich nach hinten in die Mitte, ohne Mätzchen. Alles ganz ruhig und normal. Um Ihr Rad kümmert sich meine Kollegin.«
Die Seitentür des zerbeulten gelben VW-Busses stand offen. Vorne saßen der Fahrer und noch ein anderer Mann und sahen stur geradeaus. Den Arm fest um Annabels Schulter gelegt, bugsierte die Frau sie auf die Rückbank. Hinter sich hörte Annabel ihr Fahrrad klappern, gefolgt von einem Plumps. In dem Durcheinander war ihr gar nicht bewußt gewesen, daß sie sich auch ihres Rucksacks bemächtigt hatten. Die beiden Frauen nahmen in aller Ruhe rechts und links von ihr Platz, griffen jede nach einer ihrer Hände, schlossen eine Handschelle darum und drückten sie tief in die Polster, so daß sie halb darauf saßen.
»Was machen Sie mit ihm?« flüsterte sie. »Er ist eingesperrt! Wer bringt ihm zu essen, wenn ich nicht da bin?«
Ein schwarzer Saab fuhr vor ihnen an. Der VW-Bus folgte in engem Abstand. Niemand schien es eilig zu haben.
9
Stell deine Fakten klar und nüchtern zusammen.
Du bist Juristin.
Du magst eine hilflose Frau sein, die es vor Wut fast zerreißt, aber du wirst dich von deinem kühlen Kopf leiten lassen, nicht von deinen Emotionen.
Dieser klackende Eisenlift, in dem du fährst, befördert dich aufwärts, nicht abwärts. Das sagt dir ein Gefühl im Magen, das nichts zu tun hat mit deinen übrigen Empfindungen, mit der Übelkeit, dem diffusen Schmerz des Ausgeliefertseins.
Du wirst demnach in ein oberes Stockwerk verfrachtet, keinen Keller, wofür du verhalten dankbar bist.
Dieser Lift hält unterwegs nicht an. Er hat keine Knöpfe, keinen Spiegel, kein Sichtfenster. Er riecht nach Diesel und nach Äckern. Es ist ein Viehlift. Er riecht wie der Sportplatz deiner Schule im Herbst. Erörtern Sie.
Wer in diesem Lift fährt, tut das nicht aus freien Stücken. Du stehst zwischen zwei Frauen, die dich entführt haben, indem sie so taten, als wärt ihr Freundinnen. Zu ihnen stieß etwas später eine
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