Marionetten
Mist? Auf Ihren sagenhaften Privilegien und Ihrer Schweigepflicht? Darauf, daß ein Wort von Ihnen reicht, und ich fliege in hohem Bogen raus? Daß ich gegen sämtliche existierenden und nicht existierenden Vorschriften verstoßen habe, womit Sie völlig recht hätten? Daß ich die heiligsten Werte unserer Verfassung mit Füßen trete? Wollen Sie mir diesen ganzen Müll um die Ohren hauen, oder können wir es uns einfach dazudenken? Und wo wir gerade dabei sind, wann haben Sie Ihr nächstes Date mit dem gesuchten Terroristen Issa Karpow, den Sie in Ihrer Wohnung versteckt halten?«
»Er ist kein Terrorist, Sie sind einer. Ich will sofort einen Anwalt sprechen.«
»Ihre Mutter, die große Frau Richterin Richter?«
»Einen Anwalt, der mich vertreten kann.«
»Dann vielleicht Ihren ruhmreichen Vater? Oder Ihren Schwager in Dresden? Ich meine, Sie könnten mir dermaßen die Hölle heiß machen. Ein paar Anrufe, und die ganze Justiz fällt über mich her. Die Frage ist – wollen Sie das? Blödsinn. Natürlich nicht. Sie wollen Ihren Jungen retten. Nur darum geht es Ihnen. Das sieht ein Blinder mit Krückstock.«
Dem fügte Erna Frey ihre eigene, ausgewogenere Auslegung hinzu.
»Ich fürchte, Sie haben die Wahl zwischen uns und gar niemandem, Frau Richter. Es gibt einen Haufen von Leuten nicht sehr weit von hier, die nichts lieber täten, als Issa mit einem gewaltigen Polizeiaufgebot festzunehmen und die Lorbeeren dafür einzuheimsen. Und die Polizei könnte es gar nicht erwarten, all die Personen einzubuchten, die dann als Issas Komplizen dastünden. Leyla, Melik, Herrn Brue, nehme ich doch stark an, sogar Ihren Bruder Hugo. Es würde ihnen phantastische Schlagzeilen einbringen, ganz egal, was am Ende herauskommt. Und denken Sie an Fluchthafen Hamburg! Was würden die Geldgeber der armen Frau Meyer sagen? Ganz zu schweigen von Ihnen selbst. Dem Gegenstand der Ermittlungen, um eines der Unwörter zu benutzen, an denen Herr Werner solche Freude hat. Mißbrauch Ihres Anwaltsstatus. Wissentliche Deckung eines gesuchten Terroristen.
Irreführung der Behörden et cetera. Ihre Karriere am Ende mit – wie alt wären Sie? – sagen wir, vierzig, wenn Sie Ihre Haftstrafe abgesessen haben?«
»Es ist mir egal, was Sie mit mir machen.«
»Aber um Sie geht es ja nicht, oder, Frau Richter? Es geht um Issa.«
Bachmann, dessen Aufmerksamkeitsspanne offensichtlich begrenzt war, hatte das Interesse an der Unterhaltung verloren und ging die Gegenstände aus Annabels Rucksack durch: ihr ringgebundenes Notizbuch, Terminkalender, Führerschein, Personalausweis, das Tuch – das er demonstrativ an die Nase hob, wie um es auf das Parfüm hin zu untersuchen, das sie nicht trug. Aber am meisten schien ihn Tommy Brues Scheck zu fesseln; immer wieder hielt er ihn ins Licht, inspizierte Vorder- und Rückseite, betrachtete die Zahlen, die Handschrift und schüttelte in gespielter Verwunderung den Kopf.
»Warum haben Sie den nicht eingelöst?« wollte er wissen.
»Ich wollte noch warten.«
»Worauf? Auf Dr. Fischer von der Klinik?«
»Ja.«
»Lang hätte es ja nicht gereicht, oder? Fünfzigtausend? Nicht in dem Laden.«
»Lange genug.«
»Wofür?«
Annabel zuckte hilflos die Achseln. »Um es zu versuchen. Einfach nur, um es zu versuchen.«
»Hat Brue durchblicken lassen, daß bei ihm noch mehr zu holen sein könnte?«
Annabel wollte etwas erwidern, entschied sich aber abrupt um. »Ich muß wissen, warum Sie glauben, Sie beide wären anders«, sagte sie herausfordernd, an Erna Frey gewandt.
»Als wer, Frau Richter?«
»Als diese Leute, die ihn von der Polizei festnehmen lassen und ihn nach Rußland oder in die Türkei abschieben wollen.«
Bachmann antwortete für sie beide, wobei er erneut Brues Scheck zur Hand nahm und ihn studierte, als enthielte er die Lösung aller Rätsel.
»Glauben Sie mir, wir sind anders«, knurrte er. »Hundert Pro. Aber Ihre Frage ist ja eigentlich, was wir mit Ihrem Jungen vorhaben.« Er legte den Scheck vor sich auf den Tisch, wandte aber den Blick nicht davon. »Ich bin mir nicht sicher, daß wir das wissen, Annabel. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, daß wir es nicht wissen. Wir machen das Wetter, bilden wir uns gern ein. Wir lassen den Dingen ihren Lauf. Wir warten so lange ab, wie es nur geht. Und wir schauen, was Allah für uns bereithält«, fügte er hinzu, indem er mit dem Finger mehrmals auf den Scheck tippte. »Und wenn Allah liefert – dann ist Ihr Junge vielleicht schon bald ein
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