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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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schlummerten.
    »Warum ausgerechnet die Engländer, verdammt?« wollte er wissen. »Wie gerät ein russischer Gauner in einer österreichischen Stadt an eine britische Bank? Na gut, Karpow senior bewundert ihre Scheinheiligkeit. Er bewundert die Eleganz, mit der sie lügen. Aber wie hat er sie verdammt noch mal gefunden? Wer hat ihn hin geschickt?«
    Und dann, um drei Uhr nachmittags: Heureka! Er hielt sie in der Hand, eine windige braune Akte aus den Katakomben der Staatsanwaltschaft. Sie war für den Reißwolf bestimmt gewesen, aber auf wundersame Weise seinen Fängen entkommen. Bachmanns Wetterzauber hatte wieder einmal funktioniert.
    * * *
    In geblümten Lehnstühlen saßen sie im Erker von Frau Ellenbergers blitzsauberem Wohnzimmer, das wie ein Direktimport aus England anmutete, und tranken Earl Grey aus feinstem Minton-Porzellan. An den Wänden Constable-Landschaften und Stiche des alten London. In einem Sheraton-Bücherschränkchen Jane Austen, Trollope, Hardy, Edward Lear und Lewis Carroll. Auf der Fensterbank flaumige Frühlingsblüten in Wedgwood-Töpfen.
    Lange Zeit sprach keiner von ihnen. Bachmann lächelte gütig, vornehmlich in sich hinein. Frau Ellenberger studierte ihre Spitzengardinen.
    »Stört es Sie, wenn ich unser Gespräch aufzeichne, Frau Ellenberger?« fragte Bachmann.
    »Ganz entschieden, Herr Schneider.«
    »Dann soll es unaufgezeichnet bleiben«, erklärte er mit Nachdruck und ließ das eine Gerät in seiner Aktentasche verschwinden, während das andere weiterlief.
    »Aber Notizen darf ich mir machen«, schlug er vor. Und er legte sich einen Block auf die Knie und zückte den Stift.
    »Ich möchte eine Kopie von allem, was Sie in Ihre Akte aufnehmen«, sagte sie. »Wenn Sie mir mehr Vorlauf gegeben hätten, wäre jetzt mein Bruder hier, um mich zu vertreten. Leider ist er heute abend anderweitig beschäftigt.«
    »Ihr Bruder darf unsere Akten jederzeit einsehen.«
    »Das will ich hoffen, Herr Schneider«, war Frau Ellenbergers Antwort.
    Als sie ihm die Tür geöffnet hatte, war sie errötet. Jetzt war sie geisterblaß und schön. Mit ihren geweiteten, verwundbaren Augen, dem locker hochgesteckten Haar, ihrem langen Hals und Jungmädchenprofil schien sie Bachmann eine jener Schönheiten, die unmerklich in die mittleren Jahre hinübergleiten und dann verschwunden sind.
    »Ich darf anfangen?« vergewisserte er sich.
    »Bitte.«
    »Vor sieben Jahren haben Sie meinem Vorgänger und Kollegen Herrn Brenner gegenüber freiwillig eine eidesstattliche Erklärung abgegeben. Gegenstand dieser Erklärung waren gewisse Bedenken Ihrerseits hinsichtlich der Aktivitäten Ihres damaligen Arbeitgebers.«
    »Ich habe den Arbeitgeber nicht gewechselt, Herr Schneider.«
    »Ein Umstand, dessen wir uns bewußt sind und dem wir Rechnung tragen werden«, erwiderte Bachmann und machte sich ehrerbietig eine Notiz: eine Maßnahme zur Vertrauensbildung.
    »Das will ich hoffen, Herr Schneider«, sagte Frau Ellenberger wieder, zu den Spitzengardinen diesmal, und umfaßte die Armlehnen ihres Stuhls fester.
    »Darf ich Ihnen sagen, daß ich Ihren Mut bewundere?«
    Vielleicht, vielleicht auch nicht; sie ließ nicht erkennen, daß sie ihn gehört hatte.
    »Ihre Ehrlichkeit natürlich auch. Aber mehr noch Ihren Mut. Darf ich fragen, was Sie dazu gebracht hat?«
    »Und darf ich Sie fragen, was Sie hierherbringt?«
    »Karpow«, antwortete Bachmann wie aus der Pistole geschossen. »Grigorij Borisowitsch Karpow. Ehemaliger Vorzugskunde von Brue Frères, früher Wien, jetzt Hamburg. Inhaber eines Lipizzanerkontos.«
    Während er noch sprach, wandte sie das Gesicht in seine Richtung, halb angewidert, so schien es Bachmann, doch halb auch auf schuldbewußte Weise beschwingt.
    »Erzählen Sie mir nicht, daß er immer noch sein Unwesen treibt«, rief sie.
    »Karpow selbst, wie ich Ihnen ohne großes Bedauern mitteilen kann, weilt nicht mehr unter uns, Frau Ellenberger. Aber seine Werke wirken über seinen Tod hinaus. Wie auch die seiner kriminellen Geschäftspartner. Was, ohne mein Amtsgeheimnis verletzen zu wollen, der Grund für meinen heutigen Besuch ist. Die Geschichte legt keine Atempause ein, wie es so schön heißt. Je tiefer wir graben, desto tiefer in die Vergangenheit führt sie uns. Gestatten Sie mir die Frage: Ist Ihnen der Name Anatolij ein Begriff? Anatolij, consigliere des verstorbenen Karpow?«
    »Entfernt. Nur dem Namen nach. Er hat für Karpow alles gedeichselt.«
    »Aber kennengelernt haben Sie ihn nicht?«
    »Es

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