Marionetten
Abenteuergeist als viele der jüngeren Männer in der Wiener Finanzwelt.« Sie sann ein Weilchen, setzte zum Sprechen an, schüttelte dann den Kopf und lächelte schelmisch. »Sehr viel mehr Abenteuergeist, wenn Sie’s genau wissen wollen.« Der Moment war vorüber. »Sie haben nach dem Zeitpunkt gefragt, glaube ich. Wann er auf der Bildfläche erschienen ist. Karpow. Ja?«
»So ungefähr.«
»Dazu müßte ich Ihnen erst ein wenig über Karpow erzählen.«
»Sehr gern.«
»Es wäre verlockend, Karpow einfach als den typischen russischen Bären zu beschreiben. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Auf Mr. Edward wirkte er wie ein Jungbrunnen. ›Karpow ist meine Spanische Fliege«, sagte er einmal zu mir. Karpows eigenwilliger Umgang mit der Konvention brachte in Mr. Edward eine Saite zum Klingen. In den Wochen, die der Einführung des Lipizzaner-Systems vorausgingen, reiste Mr. Edward nach Prag, Paris und Ostberlin, einzig und allein zu dem Zweck, sich mit unserem neuen Kunden zu treffen.«
»In Ihrer Begleitung?«
»Manchmal in meiner Begleitung, ja. Oft in meiner Begleitung, genauer gesagt. Und manchmal kam auch der kleine Anatolij mit seinem Aktenkoffer mit, der Gute. Ich habe mich immer gefragt, was er wohl darin einstecken hatte. Einen Revolver? Mr. Edward meinte, es sei sein Pyjama. Stellen Sie sich vor, mit dem Aktenkoffer im Nachtclub! Und er bezahlte absolut alles daraus! Aus einer einzigen Außentasche an der Vorderseite, in der er sein Bargeld hatte. Den Koffer selber klappte er nie auf. Das war top secret. Die Glatze machte es irgendwie noch drolliger.«
Sie gestattete sich ein Kleinmädchenkichern.
»Keine öde Minute hatte man mit Karpow. Jedes Zusammentreffen ein Wechselbad aus Zügellosigkeit und Kultur, und nie wußte man, worauf man sich gefaßt machen mußte.« Ein scharfes Stirnrunzeln. »Soviel kann ich jedenfalls sagen, Herr Schneider: Oberst Karpow war ein aufrichtiger und leidenschaftlicher Verehrer aller bildenden Künste, der Musik, der Literatur, auch der Physik. Und der Frauen natürlich. Das versteht sich von selbst. Auf russisch hätte er sich als ›kulturnij‹ beschrieben. Als kultiviert.«
»Danke«, sagte der emsig kritzelnde Bachmann.
Im selben unduldsamen Ton: »Er konnte bis zum Morgengrauen in einem Nachtclub gezecht haben und zwischendurch in die Räumlichkeiten im Obergeschoß verschwunden sein – zwei- oder sogar Tramal und zwischen den Besuchen dort oben Diskussionen über Literatur geführt haben, und dann mußte er auf der Stelle sämtliche Kunstgalerien der jeweiligen Stadt besuchen und die kulturellen Sehenswürdigkeiten erkunden. Schlaf, wie wir ihn kennen, gab es bei ihm nicht. Für Mr. Edward und für mich war es eine unvergleichliche Erfahrung.«
Ihre Strenge verließ sie, und sie begann leise zu lachen und den Kopf zu schütteln. Bachmann sekundierte ihr mit seinem Clownsgrinsen.
»Und wurde bei diesen Unternehmungen offen über die Lipizzanerkonten gesprochen?« fragte er. »Oder wurde das alles – pst-pst, hochgeheim – nur zwischen den beiden verhandelt? Und mit Anatolij, wenn Anatolij dabei war?«
Wieder ein nervenaufreibendes Schweigen, während die Erinnerung ihr Gesicht verdüsterte.
»Oh, glauben Sie mir, Mr. Edward war selbst in seinen freizügigsten Momenten immer die Diskretion schlechthin«, beanstandete sie – keine Antwort in dem Sinn, aber immerhin eine Bestätigung seiner Frage. »In Bankbelangen, nun ja, da war das wohl selbstverständlich. Aber auch, was die Privatsphäre betraf. Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich die einzige war, abgesehen natürlich von Mrs. Brue. Aber dann starb sie«, fuhr sie schmollend fort. »Er war todunglücklich, da bin ich mir sicher. So traurig, wirklich. Ich dachte, wir würden vielleicht heiraten, verstehen Sie. Wie sich zeigte, war die Stelle nicht frei. Nicht für Elli.«
»Über seinen britischen Freund Mr. Findlay hielt er sich ja auch bedeckt, wenn ich Ihre Aussage richtig in Erinnerung habe«, steuerte Bachmann federleichten Schrittes auf die Frage zu, die ihn hergeführt hatte.
* * *
Auf ihrem Gesicht war ein Unwetter aufgezogen. Abwehrend schob sie das Kinn vor, machte die Lippen schmal.
»Hieß er nicht so? Findlay? Der mysteriöse Engländer?« insistierte Bachmann in lockerem Ton. »So steht es in Ihrer Aussage. Oder bin ich da schiefgewickelt?«
»Nein. Überhaupt nicht. Findlay war schiefgewickelt. Völlig schief.«
»Findlay, der teuflisch-geniale Drahtzieher des
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