Marionetten
Willen unterwerfen und gleichzeitig sichergehen, daß er nicht gezwungen sein wird, der KGB-Klinik riesige Summen zu bezahlen?«
Sie hatte die Fassung zurückgewonnen. Wir können kein willfähriges Weibchen gebrauchen, so Bachmanns Diktum, wir brauchen Kreativität. Wir brauchen Ihren eiskalten Verstand und Ihr abgefeimtes Juristenhirn, nicht irgendwelche emotionale Kinderkacke, die nirgends hinführt.
»Schauen Sie, Issa«, sagte sie überredend und wandte sich wieder zu dem Rucksack um. »Mr. Brue ist nicht nur auf Ihr leibliches Wohl bedacht. Schauen Sie, was er Ihnen geschickt hat.«
Ein Taschenbuch, russisch: Turgenjews Frühlingswogen und Erste Liebe in einem Band.
Tschechows Sämtliche Erzählungen, gleichfalls auf russisch.
Ein kleiner CD-Spieler als Ablösung für Annabels alten Kassettenrecorder, CDs mit Musik von Rachmaninow, Tschaikowski, Prokofieff und dazu – denn Erna dachte an alles – Ersatzbatterien.
»Mr. Brue mag und respektiert uns beide«, sagte sie. »Er ist nicht mein Liebhaber. Das spielt sich in Ihrer Phantasie ab, nirgends sonst. Wir wollen Sie keinen Tag länger hier festhalten als nötig. Wir würden alles Menschenmögliche tun, um Ihnen zu Ihrer Freiheit zu verhelfen. Das müssen Sie mir glauben.«
* * *
Der gelbe VW-Bus stand da, wo er sie abgesetzt hatte, mit demselben Jungen am Steuer und Erna Frey auf dem Beifahrersitz. Sie hatte das Radio eingeschaltet und hörte Tschaikowski. Annabel wuchtete ihr Rad ins Wageninnere, den Rucksack hinterher, kletterte hinein und knallte die Tür zu.
»Das ist das Mieseste, was ich in meinem ganzen Leben gemacht habe«, bemerkte sie, den Blick starr zur Windschutzscheibe hinaus gerichtet. »Danke vielmals! Hat richtig gutgetan.«
»Unsinn, Kindchen. Sie haben es wunderbar hingekriegt«, sagte Erna Frey. »Er ist glücklich. Hören Sie doch.«
Aus dem Radio klang immer noch der Tschaikowski, aber der Empfang schien sonderbar abgehackt, bis Annabel begriff, daß Issa in Karstens Slippern über die Dielenbretter klapperte und in einem mißtönenden Tenor lauthals mitsang.
»Das habe ich jetzt also auch geschafft«, sagte sie. »Klasse.«
10
Glyzinien überrankten das Fachwerk des Vordachs. Davor ein schmuckes Paradiesgärtlein mit Rosenhecke und einem Seerosenteich mit wasserspeienden Messingfröschen. Das Haus war nicht minder schmuck, ein Bilderbuchhäuschen mit tiefroten Dachziegeln und malerischen Schornsteinen, gelegen an einem der begehrtesten Kanäle Hamburgs. Es war Punkt neunzehn Uhr. Bachmann wußte, was Pünktlichkeit ausmachen kann. Er hatte seinen amtlichsten Anzug angezogen und trug eine Aktentasche in der Hand. Seine schwarzen Schuhe waren gewichst, der rebellische Haarschopf mit Hilfe von Erna Freys Spray in eine befristete Unterwerfung gezwungen.
»Schneider«, nuschelte er in die Sprechanlage, und die Haustür öffnete sich prompt, nur um ebenso prompt von Frau Ellenberger hinter ihm wieder geschlossen zu werden.
* * *
In den knapp achtzehn Stunden, seit Annabel von Erna Frey zu Bett gebracht worden war, hatte Bachmann Maximilian im Zentralcomputer des Nachrichtendienstes sämtliche Karpows dieser Erde ausforschen lassen, hatte einen Kontaktmann beim österreichischen Staatsschutz telefonisch dazu vergattert, die unselige Geschichte von Brue Frères in den Jahren ihres Wiener Niedergangs auszugraben, hatte dem bärbeißigen Leiter von Arni Mohrs Observationseinheit alles aus der Nase gezogen, was es über die Lebensführung des derzeitigen Bankdirektors zu wissen gab, hatte einen seiner Auswerter auf das Archiv des Hamburger Finanzamts angesetzt sowie eine geschlagene Stunde – mittlerweile war es nach Mittag – über die verschlüsselte Verbindung nach Berlin Michael Axelrod aus der Zentrale bearbeitet, bevor er sich schließlich alle verfügbaren Akten über einen hochangesehenen muslimischen Gelehrten kommen ließ, der in Norddeutschland lebte und bekannt war für seine moderaten Ansichten und sein verbindliches Auftreten im Fernsehen.
Für einige dieser Akten mußte er erst eine Sondergenehmigung von der Geldwäsche-Abteilung der Zentrale einholen. Auf Erna Frey wirkte er zeitweise regelrecht dement, wie er zwischen der Auswertung und ihrem eigenen Büro hinund herschlurfte, unzählige Zigaretten qualmte, wild in den Papierbergen auf seinem Tisch wühlte oder plötzlich irgendwelche Vermerke zu sehen verlangte, die er ihr geschickt und dann vergessen hatte und die nun in den Tiefen ihres Computers
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