Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
gab keine Mittelsmänner.« Sie korrigierte sich. »Außer Anatolij eben. Karpows Deichsler vom Dienst hat Mr. Edward ihn immer genannt. Wobei Anatolij die Sachen nicht nur gedeichselt hat. Er hat sie geradegebogen. All die krummen Dinger, die Karpow gedreht hat – Anatolij hat sie hingebogen, bis sie gerade aussahen.«
    Bachmann vermerkte diesen ungewöhnlichen Kommentar bei sich, hakte jedoch nicht nach.
    »Und Iwan ? Iwan Grigorijewitsch?«
    »Ich weiß von keinem Iwan, Herr Schneider.«
    »Karpows unehelicher Sohn? Später hat er sich dann in Issa umbenannt.«
    »Ich kenne keinerlei Sprößlinge von Oberst Karpow, weder unehelich noch anderweitig, obwohl ich nicht daran zweifle, daß es sie in großer Zahl gab. Der junge Mr. Brue hat mich erst vor ein paar Tagen das gleiche gefragt.«
    »Ach ja?«
    »Ja.«
    Und auch diese Bemerkung ließ Bachmann unkommentiert. Wer halbwegs gewieft im Vernehmen ist – so predigte er den Neulingen in der Branche, wenn er denn welche in die Finger bekam, der tritt nicht die Haustür ein. Er drückt brav den Klingelknopf und geht dann hintenrum rein. Aber das war nicht der Grund für seine Zurückhaltung, wie er Erna Frey später gestand. Der Grund war diese zweite Stimme, die er hörte: das Gefühl, daß hinter der Geschichte, die sie ihm erzählte, noch eine andere Geschichte mitklang.
    »Darf ich Sie also fragen, Frau Ellenberger – wenn wir zeitlich noch einmal zurückgehen könnten – was Sie vor sieben Jahren dazu veranlaßt hat, diese extrem mutige Erklärung abzugeben?«
    Es dauerte eine Weile, bis sie ihn hörte.
    »Ich bin Deutsche, das werden Sie ja wohl verstehen«, antwortete sie unwirsch, als er seine Frage gerade wiederholen wollte.
    »Ja, gewiß.«
    »Ich war im Begriff, nach Deutschland zurückzukehren. In meine Heimat.«
    »Aus Wien.«
    »Brue Frères sollte eine Niederlassung in Deutschland gründen. Meinem Deutschland. Ich hatte den Wunsch – ja, doch, ich hatte den Wunsch«, sagte sie zornig und starrte in den Garten hinter den Spitzengardinen hinaus, als läge der Fehler dort.
    »Sie hatten den Wunsch, einen Schlußstrich zu ziehen?« schlug Bachmann vor. »Einen Schlußstrich unter die Vergangenheit?«
    »Ich hatte den Wunsch, unbelastet in mein Land zurückzukehren«, entgegnete sie, nun plötzlich mit großer Lebhaftigkeit. »Unbefleckt. Begreifen Sie das nicht?«
    »Noch nicht ganz, aber ich gebe mir Mühe.«
    »Ich wollte einen Neuanfang machen. Mit der Bank. Mit meinem Leben. Ist das nicht nur menschlich? Sich einen Neuanfang zu wünschen? Aber vielleicht sehen Sie das ja nicht so. Männer sind da anders.«
    »Wenn ich richtig informiert bin, war zudem Ihr hochgeschätzter langjähriger Arbeitgeber verstorben, und der junge Mr. Brue« – er griff ihre Formulierung auf – »hatte die Bank übernommen?« Bachmann sagte es gedämpft, fragend: der Schüler bei seiner Lehrerin.
    »Sie sind richtig informiert, Herr Schneider. Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, das ist dankenswert. So wenige machen heutzutage ihre Hausaufgaben. Ich war ausnehmend jung damals«, erklärte sie in einem Ton unerbittlicher Selbstdiagnose. »Sträflich jung, sogar für mein Alter. Verglichen mit der Jugend von heute war ich noch kaum aus den Windeln. Ich kam aus bescheidenen Verhältnissen und hatte keinerlei Ahnung von der Welt.«
    »Aber ich bitte Sie, es war Ihr erster Einsatz, Ihnen fehlte jede Fronterfahrung!« rief Bachmann in ebenso indigniertem Ton. »Die Anordnungen kamen von oben, und Sie haben sie befolgt. Sie waren jung und unschuldig, und Sie hatten eine Vertrauensposition inne. Gehen Sie nicht etwas hart mit sich ins Gericht, Frau Ellenberger?«
    Hörte sie ihn? Und wenn ja, warum lächelte sie dann? Ihre Stimme veränderte sich, wurde jünger. Ein helleres Timbre schlich sich in sie ein, weicher, frischer, ein Hauch von Wienerisch, der noch ihre harschesten Verlautbarungen abmilderte. Und mit der Stimme verjüngte sich auch die Körpersprache: immer noch sittsam, immer noch untadelig korrekt, aber lebhafter, mit einem Quentchen Koketterie darin. Was Bachmann freilich noch eigenartiger berührte, war die Tatsache, daß ihre ganze Redeweise plötzlich für das Ohr eines Menschen bestimmt schien, der nicht nur älter, sondern auch höher im Rang war als sie, was auf ihn selbst beides nicht zutraf: quasi ein unbewußt rückwärtsgewandtes Sprechen, das nicht nur die Stimme ihrer Jugend zum Leben erweckte, sondern auch das Verhältnis zu der Person spiegelte,

Weitere Kostenlose Bücher