Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
mit Ihnen.«
    Das neue Vorhängeschloß sprang auf, die Eisentür gab erst dem Druck beider Hände nach, aus dem Radio drang leise Musik, Brahms, dachte sie. Sie blieb auf der Schwelle stehen, beschwert von Angst und Scham und einer abgrundtiefen Traurigkeit über das, was sie gleich tun würde. Er lag unter dem Bogenfenster ausgestreckt, auf dem Stück Boden, das er sich zum Bett erkoren hatte, von Kopf bis Fuß in eine braune Decke gehüllt, so daß von seinem langen Körper nichts hervorsah als das Scheitelkäppchen am einen Ende und Karstens Designersocken am anderen. Neben seinem Lager hatte er sorgsam alles bereitgelegt, was ihn in sein nächstes Gefängnis begleiten sollte: die Satteltasche, der kleingefaltete schwarze Mantel, Karstens Slipper und Designerjeans. Hieß das, daß er bis auf Socken und Käppchen nackt war? Sie schloß die Tür hinter sich, blieb aber stehen, so daß die ganze Länge des Lofts zwischen ihnen war.
    »Wir wollen bitte sofort in die Klinik aufbrechen, Annabel«, verkündete Issa unter der Decke hervor. »Hat Mr. Brue einen bewaffneten Wachmann und einen übelriechenden grauen Bus mit vergitterten Fenstern geschickt?«
    »Kein Bus, kein bewaffneter Wachmann, tut mir leid«, rief sie munter zurück. »Und auch keine Klinik. Sie fahren jetzt doch nirgendwohin« – sie rettete sich in die Küche »und ich dachte, das feiern wir mit einem exotischen Frühstück. Kommen Sie einfach rüber, wenn Sie aufgestanden sind. Vielleicht wollen Sie ja noch beten?«
    Schweigen. Bestrumpfte Sohlen tappten über die Dielen. Sie hockte sich vor den Kühlschrank, öffnete ihn, stellte den Rucksack daneben.
    »Keine Klinik, Annabel?«
    »Keine Klinik«, bestätigte sie. Das Sohlentappen war verstummt.
    »Gestern sagen Sie mir, ich muß in eine Klinik, Annabel. Heute muß ich plötzlich in keine Klinik mehr. Warum?«
    Wo war er? Sie wagte nicht, sich umzudrehen. »Es war doch kein so guter Plan, wie wir dachten«, sagte sie laut. »Zuviel Papierkram. Zu viele Formulare zum Ausfüllen, zu viele unbequeme Fragen« – Erna Freys Idee. »Wir haben uns einfach gesagt, daß Sie hier besser aufgehoben sind.«
    »Wir?«
    »Mr. Brue. Ich.«
    Schieben Sie ruhig Brue vor, hatte ihr Bachmann geraten. Wenn er für Issa ein höheres Wesen ist, soll er das bleiben.
    »Ich verstehe Ihre Motivation nicht, Annabel.«
    »Wir haben unsere Meinung geändert, das ist alles. Ich bin Ihre Anwältin, er ist Ihr Bankier. Wir sind die Optionen durchgegangen und zu dem Schluß gekommen, daß Sie am besten hier in der Wohnung aufgehoben sind, wo Sie ohnehin am liebsten sein wollen.«
    Sie nahm ihren Mut zusammen und wandte sich um. Er füllte den Türrahmen aus, ein schwarzäugiger Mönch in brauner Kutte, der sie nicht aus den Augen ließ, während sie aus dem Rucksack all seine Leibspeisen holte, die Erna Frey so liebevoll hineingepackt hatte: eine Sechserpackung Fruchtjoghurt, ofenwarme Mohnbrötchen, Butter, griechischen Honig, Sour Cream, Emmentaler.
    »Ist Mr. Brue in Trübsinn verfallen, weil er der Klinik so viel Geld zahlen sollte, Annabel? Ist das der Grund, warum er seine Meinung geändert hat?«
    »Ich habe Ihnen den Grund genannt. Ihre eigene Sicherheit.«
    »Sie lügen mich an, Annabel.«
    Sie sprang auf und drehte sich zu ihm. Nur ein Meter trennte sie voneinander. Zu jeder anderen Zeit hätte sie den unsichtbaren Sperrgürtel zwischen ihnen respektiert, aber diesmal hielt sie die Stellung.
    »Ich lüge Sie nicht an, Issa. Der Plan ist abgeändert worden, zu Ihrem eigenen Besten.«
    »Ihre Augen sind blutunterlaufen, Annabel. Haben Sie Alkohol getrunken?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Wieso natürlich, Annabel?«
    »Weil ich nie Alkohol trinke.«
    »Kennen Sie ihn sehr gut, diesen Mr. Tommy Brue, bitte?«
    »Was reden Sie da?«
    »Haben Sie mit Mr. Brue Alkohol getrunken, Annabel?«
    »Issa! Hören Sie auf!«
    »Unterhalten Sie eine Beziehung zu Mr. Tommy Brue, die vergleichbar ist mit Ihrer Beziehung zu dem unbefriedigenden Mann in Ihrer früheren Wohnung?«
    »Issa, ich habe gesagt, Sie sollen aufhören!«
    »Ist Mr. Tommy Brue der Nachfolger dieses unbefriedigenden Mannes? Übt Mr. Tommy Brue einen unverhältnismäßigen Einfluß auf Sie aus? Ich habe beobachtet, wie er Sie in Leylas Haus mit lüsternen Augen betrachtet hat. Geben Sie Mr. Brues niedrigen Gelüsten statt, weil er über materielle Reichtümer verfügt? Glaubt Mr. Brue, indem er mich hier in Ihrer Wohnung festhält, kann er Sie seinem

Weitere Kostenlose Bücher