Marissa Blumenthal 01 - Virus
Plaza bestellte Zimmer beziehen. Statt dessen beschloß sie, die Nacht im nahe gelegenen Essex House zu verbringen und sich dort unter dem Namen einer alten Schulkameradin einzutragen - Lisa Kendrick.
*
George Valhala stand neben dem Mietwagenschalter von AVIS und musterte lässig die zur Gepäckausgabe strömende Menge. Seine Auftraggeber hatten ihn mit dem Spitznamen »Die Kröte« belegt, nicht wegen irgendwelcher äußeren Merkmale, sondern eher wegen seiner außergewöhnlichen Geduld, die es ihm möglich machte, stundenlang ruhig auf einem Beobachtungsposten zu sitzen wie eine Kröte, die auf ein Insekt als Beute wartet.
Aber sein jetziger Auftrag würde diese besondere Eigenschaft wohl nicht stark strapazieren. Er war erst vor kurzem auf dem Flugplatz eingetroffen, und man hatte ihm gesagt, daß die junge Frau entweder mit der Fünf-Uhr- oder mit der Sechs-Uhr-Maschine aus Chicago käme. Das Fünf-Uhr-Flugzeug war gerade gelandet, und die ersten Passagiere sammelten sich am entsprechenden Gepäckkarussell.
Das einzige kleine Problem bei der Sache war die ziemlich ungenaue Beschreibung, die George erhalten hatte: eine niedliche kleine Dreißigjährige mit braunem Haar. Gewöhnlich konnte er mit einem Foto arbeiten, aber in diesem Fall war die Zeit zu knapp gewesen, um eines zu beschaffen.
Da sah er sie schon - das mußte sie sein. Sie war fast einen Kopf kleiner als alle anderen in dem Haufen von Aktenköfferchen tragenden Leuten, die jetzt in den Bereich der Gepäckausgabe strömten. Als erstes fiel ihm auf, daß sie an dem Kofferkarussell vorbeiging, da sie offenbar ihr Köfferchen gleich mit in die Maschine genommen hatte.
Sich vom AVlS-Schalter kräftig abstoßend, schlenderte George auf Marissa zu, um sich ihre Erscheinung genau einzuprägen. Er folgte ihr nach draußen, wo sie sich der auf ein Taxi wartenden Schlange anschloß. Sie war tatsächlich niedlich, und sie war sehr klein. George fragte sich, wie um alles in der Welt es ihr gelungen war, Paul in Chicago zu überwältigen. Es schoß ihm durch den Kopf, daß sie vielleicht eine Expertin in Selbstverteidigungspraktiken sein könnte. Auf die eine oder andere Weise hatte er jedenfalls irgendwie Respekt vor diesem kleinen Biest. Und für Al galt offenbar dasselbe, denn sonst hätte er nicht diesen ganzen Aufwand auf sich genommen.
Nachdem er sie noch einmal aufmerksam aus der Nähe betrachtet hatte, überquerte George die Fahrbahn vor dem Terminal und stieg dort in ein gegenüber dem Taxistand wartendes Taxi ein.
Der Fahrer drehte sich um und schaute auf George. »Hast du sie gesehen?« fragte er. Er war ein dürres, vogelartiges Kerlchen, ganz im Gegensatz zu George, der mit seinem fetten Korpus an eine Birne erinnerte.
»Aber Jake, sehe ich wie ein Idiot aus? Laß den Motor an. Sie steht in der Taxischlange.«
Jake tat, was ihm gesagt worden war. Er und George arbeiteten nun schon seit vier Jahren für Al, und sie kamen gut miteinander aus, außer wenn George anfing, Befehle zu erteilen. Aber das kam nicht allzuoft vor.
»Das dort ist sie«, sagte George und deutete auf Marissa, die gerade in ein Taxi stieg. »Fahr ein bißchen vor und laß ihr Taxi uns überholen.«
»He, fahren tu ich«, sagte Jake. »Du paßt auf, ich fahre.«
Trotzdem legte er den Gang ein und fuhr langsam los.
George schaute zum Rückfenster hinaus, bemerkte, daß Marissas Taxi eine Beule im Dach hatte, und sagte: »Die wird man leicht verfolgen können.« Das Taxi fuhr rechts an ihnen vorbei, und Jake gab Gas. Er ließ es bewußt zu, daß ein anderer Wagen sich dazwischenschob, bevor sie auf die Long-Island-Schnellstraße einbogen.
Es war kein bißchen schwierig, Marissas Taxi im Auge zu behalten, auch dann nicht, als es auf die Queensborough-Brücke fuhr, die vom Feierabendverkehr verstopft war. Nach vierzig Minuten konnten sie beobachten, daß sie vor dem Essex House ausstieg. Fünfzig Meter hinter dem Hotel fuhr Jake an den Randstein.
»Na, jetzt wissen wir ja, wo sie wohnt«, sagte Jake.
»Um ganz sicher zu sein, gehe ich lieber hinein und schaue, ob sie sich auch tatsächlich einträgt«, gab George zurück. »Ich bin gleich wieder da.«
KAPITEL 14
23. Mai
Marissa schlief nicht gut. Nach dem Überfall im Palmer House würde sie sich vielleicht nie wieder wohl fühlen in einem Hotel. Jedes Geräusch draußen auf dem Gang ängstigte sie, weil sie fürchtete, es würde jemand einzudringen versuchen. Und bei all den Leuten, die spät
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