Marissa Blumenthal 01 - Virus
sich mit dem Rücken am Waschbecken abzustützen, das weitere Öffnen der Tür durch ihren Verfolger zu verhindern. Aber Zentimeter um Zentimeter gewann seine größere Kraft die Oberhand. Der Türspalt erweiterte sich, und der Arm mit dem steifen Ellbogen schob sich um den Türrahmen.
Marissa warf einen Blick zu dem an der Wand hängenden Telefon, aber sie konnte es nicht erreichen, ohne es aufzugeben, sich mit den Füßen gegen die Tür zu stemmen. Sie schaute auf die Waffe in ihrer Hand und überlegte, ob es den Mann wohl abschrecken würde, wenn sie jetzt einen Schuß in die Wand abgeben würde. Erst da merkte sie, daß sie keineswegs einen Revolver in der Hand hielt, sondern eine mit Druckluft betriebene Injektionspistole, wie man sie in ihrer alten Kinderklinik für Massenimpfungen verwendet hatte.
Die Tür hatte sich jetzt weit genug geöffnet, um dem Arm des Mannes größere Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Dieser tastete blindlings herum, bis er Marissa an einem Knöchel zu fassen bekam. In dem Bewußtsein, daß sie gar keine andere Wahl hatte, preßte Marissa die Injektionspistole gegen den Unterarm des Mannes und drückte ab. Der Mann schrie auf, der Arm verschwand, und die Tür fiel knallend ins Schloß.
Marissa hörte, wie der Mann das Zimmer durchquerte, die Tür aufschloß und öffnete und in den Gang hinausstürzte. Sie kehrte mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung ins Schlafzimmer zurück. Erst jetzt nahm sie überrascht einen starken Phenolgeruch wahr. Mit zittriger Hand drehte sie die Injektionspistole auf sich zu und warf einen Blick auf die kreisrunde Mündung. Intuitiv spürte sie, daß das Gerät mit Ebola-Viren bestückt worden war, und sie nahm an, daß das Desinfektionsmittel, das sich durch seinen scharfen Geruch bemerkbar machte, die Ansteckung der Person, die die Injektionspistole bediente, verhindern sollte. Nun wuchs ihre Furcht aufs höchste - sie hatte nicht nur wahrscheinlich einen Menschen getötet, sondern obendrein vielleicht einen neuen Ebola-Ausbruch verursacht. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, und schob die Injektionspistole in einen Plastikbeutel, den sie aus dem Abfallkorb nahm, und tat dann noch eine weitere Plastiktüte herum, die sie im Papierkorb unter dem Schreibtisch gefunden hatte und die sie sorgfältig verknotete. Für einen Augenblick überlegte sie, ob sie die Polizei rufen solle, entschied sich aber dann dafür, es zu lassen - was hätte die jetzt schon noch tun können? Der Bursche war inzwischen über alle Berge, und auch wenn die Injektionspistole tatsächlich Ebola-Viren enthielt, gab es wohl kaum eine Möglichkeit, ihn unauffällig aufzuspüren, wenn er das nicht wollte.
Marissa blickte in den Gang hinaus; er war leer. Sie hing das Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stören!« an die Tür und schaffte ihre Sachen einschließlich der in den beiden Plastiktüten befindlichen Injektionspistole in den Arbeitsraum des Reinigungspersonals. Es war niemand dort oder in Sicht. Sie fand eine Flasche Lysol und desinfizierte mit deren Inhalt den Plastikbeutel und ihre Hände. Mehr konnte sie als Vorsorgemaßnahme im Augenblick wohl nicht tun.
Unten im Foyer, wo genügend Leute waren, um Marissa halbwegs ein Gefühl der Sicherheit zu geben, rief sie den Seuchenbeauftragten des Staates Illinois an. Ohne ihren Namen zu nennen, teilte sie mit, daß Zimmer 2410 im Palmer House möglicherweise mit Ebola-Viren verseucht war. Ehe der Mann auch nur eine einzige Frage stellen konnte, legte sie wieder auf.
Als nächstes rief sie Tad an. Durch diese ganze hektische Aktivität wollte sie sich bewußt davon abhalten, über das nachzudenken, was sich gerade abgespielt hatte. Tads anfängliche Kühle verschwand, als ihm klar wurde, daß sie offenbar kurz vor einem hysterischen Anfall stand.
»Was um alles in der Welt ist denn jetzt schon wieder los?« fragte er. »Marissa, bist du wohlauf?«
»Ich muß dich um zwei Gefälligkeiten bitten. Nach all den Schwierigkeiten, in die ich dich gebracht hatte, hatte ich mir geschworen, dich nie wieder zu belästigen. Aber ich habe jetzt keine andere Wahl. Als erstes brauche ich ein Röhrchen von dem Serum, das ihr nach dem Ebola-Ausbruch in Los Angeles als mögliches Gegenmittel entwickelt habt. Könntest du es per Nachtflugdienst an eine gewisse Carol Bradford im Plaza-Hotel in New York schicken lassen?«
»Wer zum Teufel ist denn diese Carol Bradford?«
»Bitte stell mir keine Fragen«, antwortete Marissa und kämpfte
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