Marissa Blumenthal 01 - Virus
Vandermay mitgeteilt, daß auf Leitung sechs ein Telefongespräch für ihn da sei. Er nahm ab, und Marissa hörte ihn sagen: »Welch ein Zufall, Dr. Dubchek, gerade unterhalte ich mich mit Frau Dr. Blumenthal…«
Das genügte Marissa - wie ein Blitz eilte sie davon und hastete in Richtung der Aufzüge. Vandermay rief hinter ihr her, aber sie ließ sich nicht aufhalten. Im Sturmschritt jagte sie an den Sekretärinnen vorbei und durch die Doppeltür, wobei sie die Stifte in der Brusttasche festhalten mußte, damit diese nicht herausfielen.
Als sie die Aufzüge und die Treppe vor sich hatte, entschied sie sich dafür, den Aufzug zu riskieren. Wenn Dubchek nur einen Stock tiefer war, würde er wahrscheinlich die Treppe nehmen. Sie drückte den Knopf für die Abwärtsfahrt. Ein Labortechniker stand mit einem Tablett voll Vakuumröhrchen wartend neben ihr und schaute zu, wie Marissa aufgeregt immer wieder auf den schon aufleuchtenden Knopf drückte. »Ein Notfall?« fragte er, als ihre Augen sich trafen.
Ein Aufzug hielt, und Marissa sprang hinein. Die Türen schienen eine Ewigkeit zu brauchen, bis sie sich schlossen, und sie fürchtete jede Sekunde das Auftauchen Dubcheks, um sie aufzuhalten. Endlich ging es abwärts, und Marissa atmete auf. Doch schon im nächsten Stock gab es einen Halt. Marissa kroch förmlich in den Aufzug hinein und drückte sich an die Wand; endlich einmal war sie froh darüber, so klein zu sein. Es wäre gar nicht so leicht gewesen, sie auf Anhieb von draußen zu erkennen. Als sich der Aufzug wieder in Bewegung setzte, fragte sie einen grauhaarigen Techniker nach der Cafeteria. Er sagte ihr, sie solle sich nach dem Verlassen des Aufzuges gleich nach rechts wenden und den Hauptgang hinuntergehen.
Marissa stieg aus und folgte der Wegbeschreibung. Ein Stückchen weiter konnte sie schon Essensduft riechen und fortan einfach ihrer Nase folgen.
Sie hatte sich überlegt, daß es sicher ein zu großes Risiko wäre, den Hauptausgang der Klinik zu benutzen. Dubchek konnte schon die Polizei angewiesen haben, sie aufzuhalten. Statt dessen lief sie in die Cafeteria, welche mit Leuten vollgestopft war, die gerade ihr Mittagessen einnahmen. Sie ging schnurstracks in die Küche. Das Personal dort warf ihr zwar fragende Blicke zu, aber niemand hielt sie auf. Wie sie angenommen hatte, gab es einen Lieferanteneingang, und eben dort ging Marissa hinaus, wobei sie einem Molkereiwagen ausweichen mußte, der gerade etwas anlieferte.
Marissa sprang rasch die Stufen zum Fahrweg hinunter und schritt dann forsch aus in Richtung Madison Avenue. Nachdem sie etwa einen halben Häuserblock weit in nördlicher Richtung gegangen war, bog sie östlich in eine ruhige, baumbestandene Straße ein. Es waren nur wenige Fußgänger zu sehen, was ihr eine gewisse Sicherheit gab, nicht verfolgt zu werden. Sobald sie auf der Park Avenue ankam, hielt sie ein Taxi an.
Um sicherzugehen, daß niemand ihr folge, ließ sie das Taxi nur bis zu »Bloomingdales« fahren, stieg aus, ging durch das Geschäft zum anderen Ausgang an der Dritten Avenue und nahm sich dort ein anderes Taxi. Als sie vor dem Essex House vorfuhr, war sie überzeugt, wenigstens für den Augenblick sicher zu sein.
Vor ihrem Zimmer, an dessen Tür immer noch das Schild »Bitte nicht stören« hing, zögerte Marissa. Obwohl niemand wußte, daß sie hier unter falschem Namen eingetragen war, ängstigte sie die Erinnerung an den Vorfall in Chicago. Vorsichtig öffnete sie die Tür und musterte von draußen den Raum, bevor sie ihn betrat. Dann stellte sie einen Stuhl an die Tür, um sie offenzuhalten, und durchsuchte mißtrauisch den ganzen Raum. Sie blickte unter die Betten, in den Schrank und ins Badezimmer. Alles war so, wie sie es verlassen hatte. Endlich zufrieden, machte Marissa die Tür zu und sicherte sie mit allem, was an Schloß, Riegel und Kette vorhanden war.
KAPITEL 15
23. Mai - Fortsetzung
Marissa nahm einiges von der großzügigen Portion des frischen Obstes zu sich, die auf ihre Bestellung hin heute morgen vom Zimmerservice zum Frühstück gebracht worden war, und schälte sich dabei einen Apfel mit dem scharfen Schälmesser, das man ihr dazugelegt hatte. Jetzt, nachdem sich ihre Vermutungen zu bestätigen schienen, war sie im Ungewissen darüber, was als nächstes zu tun sei. Das einzige, was ihr im Augenblick einfiel, war: zu dem von Ralph genannten Anwalt zu gehen und ihm ihren Verdacht mitzuteilen, daß nämlich eine kleine Gruppe
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