Marissa Blumenthal 01 - Virus
wurde. Es gab nun für sie verschiedene Möglichkeiten, aber mit fast einem Häuserblock Vorsprung schien es ihr das beste, jetzt schnell auszusteigen.
Kaum war der Wagen in die Fünfte Avenue eingebogen, als Marissa ihre Wagengefährten damit überraschte, daß sie lauthals dem Fahrer zubrüllte, er solle augenblicklich halten.
Der Fahrer reagierte sofort, weil er annahm, daß es ihr schlecht geworden sei, aber bevor die Männer so recht begriffen hatten, was los war, hatte sie schon die Tür aufgerissen und war mit der Bemerkung, man solle ohne sie weiterfahren, hinausgesprungen.
Sie erspähte eine Doubleday-Buchhandlung, die noch geöffnet hatte, schlüpfte hinein und konnte durch das Schaufenster sehen, wie das Checker-Taxi vorbeifuhr. Auf dem Rücksitz nahm sie einen blonden Mann wahr, der sich nach vorn beugte und angestrengt geradeaus blickte.
*
Das Haus ähnelte eher einer mittelalterlichen Festung als einem luxuriösen New Yorker Stadthaus. Seine Bleiglasfenster waren schmal und durch schmiedeeiserne Gitter gesichert. Die Vordertür war durch ein mächtiges Eisentor geschützt, das an ein Fallgitter erinnerte. Das oberste Stockwerk war zurückgesetzt, und die sich daraus ergebende Terrasse war wie ein Festungsturm, mit Zinnen bewehrt.
Marissa beäugte das Gebäude von der gegenüberliegenden Straßenseite aus. Es wirkte alles andere als einladend, und für einen Augenblick kamen ihr doch erhebliche Bedenken in bezug auf ihren Besuch bei Dr. Krause. Aber aus der sicheren Hut ihres neuen Zimmers im Essex House hatte sie im Laufe des Nachmittags eine Reihe von Telefongesprächen geführt und dabei in Erfahrung gebracht, daß er ein prominenter Internist für die oberen Zehntausend war. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er selbst ihr etwas antun würde. Vielleicht auf dem Umweg über eine Organisation wie PAC, aber jedenfalls nicht mit eigenen Händen.
Sie überquerte die Straße und schritt die Stufen zum Eingang hinauf. Mit einem vorsichtigen Blick nach den beiden Seiten der ruhigen Straße klingelte sie schließlich. Hinter dem Tor sah man die schwere Holztür, in der Mitte geschmückt mit einem in Relief gearbeiteten Familienwappen.
Marissa wartete etwa eine Minute lang und klingelte dann erneut. Plötzlich ging ein gleißend helles Licht an, so daß sie nicht einmal erkennen konnte, wer ihr die Tür öffnete.
»Ja?« sagte eine weibliche Stimme fragend.
»Ich möchte mit Dr. Krause sprechen«, sagte Marissa und versuchte dabei, ihrer Stimme einen befehlsgewohnten Ton zu geben.
»Sind Sie angemeldet?«
»Nein«, gab Marissa zu. »Aber sagen Sie dem Herrn Doktor bitte, daß ich in einer dringenden Angelegenheit in Sachen ›Aktionskomitee der Ärzte‹ hier sei. Ich bin ganz sicher, daß er mich dann empfangen wird.«
Marissa hörte, wie die Tür zufiel. Das grelle Licht erleuchtete weithin die Straße. Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür wieder.
»Der Herr Doktor ist bereit, Sie zu empfangen.« Dann ertönte das quälende Geräusch der quietschenden Angeln des Eisentores, die dringend ein paar Tropfen Öl gebraucht hätten.
Marissa trat ein, erleichtert, dem grellen Licht entronnen zu sein. Sie beobachtete die in ein schwarzes Dienstmädchenkleid gekleidete Frau, die das Tor schloß und dann hinter ihr herkam.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Marissa wurde durch einen marmorverkleideten, kronleuchterbestückten Eingangsraum geführt und dann einen kurzen Gang hinunter in eine holzgetäfelte Bibliothek.
»Wenn Sie hier bitte einen Augenblick warten würden. Der Herr Doktor wird gleich dasein.«
Marissa blickte sich um. Überall standen schöne alte Möbel, und drei Wände waren ganz mit Bücherborden bedeckt.
»Bitte entschuldigen Sie, daß ich Sie warten ließ«, erklang eine angenehme, volle Stimme.
Marissa wandte sich um und musterte Dr. Krause. Er hatte ein fleischiges Gesicht mit tiefen Falten, und als er sie mit einer Geste bat, Platz zu nehmen, fielen ihr seine ungewöhnlich großen und breiten Hände auf, die stark an einen eingewanderten einfachen Arbeiter erinnerten. Sobald sie saßen, konnte sie einen besseren Eindruck von ihm gewinnen. Die Augen waren die eines intelligenten und sympathischen Menschen und erinnerten sie an einige ihrer Professoren für innere Medizin. Marissa konnte sich nur darüber wundern, daß er mit einer derartigen Vereinigung wie dem PAC etwas zu tun hatte.
»Es tut mir leid, daß ich Sie zu so später Stunde noch stören
Weitere Kostenlose Bücher