Marissa Blumenthal 01 - Virus
herrlich, es mit einer so eindeutigen Situation zu tun zu bekommen?
Die Tür des Bereitschaftszimmers öffnete sich, und ein gutaussehender dunkelhaariger Mann trat ein. Ins grelle Licht der Notaufnahme blinzelnd, kam er geradewegs auf Marissa zu. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem breiten Lächeln: »Dr. Blumenthal, wir sind ja so froh, daß Sie da sind; Sie können sich das gar nicht vorstellen.«
Als sie sich die Hände schüttelten, blickte er etwas erstaunt auf sie hinunter. Er schien doch etwas überrascht von ihrer kleinen Statur und ihrer Jugend. Aus Höflichkeit erkundigte er sich, wie der Flug gewesen sei und ob sie Hunger habe.
»Es wäre sicher das beste, gleich an die Arbeit zu gehen«, sagte Marissa.
Dr. Navarre stimmte eilfertig zu. Während er Marissa in das Konferenzzimmer der Klinik begleitete, stellte er sich ihr als Leiter der medizinischen Abteilung vor. Diese Mitteilung trug nicht gerade zu Marissas Selbstbewußtsein bei; sie war vielmehr davon überzeugt, daß Dr. Navarre zweifellos hundertmal mehr als sie von Ansteckungskrankheiten verstehe.
Dr. Navarre bat Marissa, an dem runden Konferenztisch Platz zu nehmen, griff nach dem Telefon und wählte. Dabei teilte er ihr mit, daß Dr. Spenser Cox, der Staatsbeauftragte für Epidemieprobleme, unbedingt mit ihr sprechen wolle, sobald sie angekommen sei.
Großartig, dachte Marissa und zwang sich zu einem schwachen Lächeln.
Dr. Cox klang am Hörer ebenso glücklich über Marissas Anwesenheit wie Dr. Navarre. Er erklärte, daß er leider im Augenblick festgehalten werde durch einen Ausbruch von Hepatitis B im Raum der Bucht von San Francisco, bei dem man eine mögliche Verbindung zu AIDS befürchte.
»Ich nehme an«, fuhr er dann fort, »daß Dr. Navarre Ihnen schon erzählt hat, daß das Problem an der Richter-Klinik derzeit nur sieben Patienten betrifft.«
»Er hat mir bisher noch gar nichts erzählt«, gab Marissa zurück.
»Nun, dann wird er es sicher sofort tun«, antwortete Dr. Cox. »Hier jedenfalls haben wir an die fünfhundert Fälle von Hepatitis B, und Sie werden verstehen, daß ich nicht gleich zu Ihnen hinüberkommen kann.«
»Natürlich«, sagte Marissa.
»Viel Glück«, wünschte Dr. Cox. »Wie lange sind Sie übrigens schon beim Seuchenkontrollzentrum?«
»Nicht sehr lange«, mußte Marissa zugeben.
Es entstand eine kurze Pause, ehe Dr. Cox schloß: »Nun, halten Sie mich jedenfalls auf dem laufenden.«
Marissa gab den Hörer an Dr. Navarre zurück, der auflegte. »Lassen Sie mich also über den Stand der Dinge berichten«, sagte er dann und schaltete auf einen ärztlichgeschäftsmäßigen Tonfall um, während er einige kleine Karteikarten aus der Tasche zog. »Wir haben hier sieben Fälle einer nicht diagnostizierten, aber eindeutig schweren fiebrigen Erkrankung, gekennzeichnet durch Erschöpfung und vielfältige Auswirkungen auf die verschiedenen Systeme. Der erste Patient, den wir aufnehmen mußten, ist zufällig einer der Mitbegründer unseres Hauses, Dr. Richter selbst. Als nächstes kam eine Angestellte aus der Registratur.«
Dr. Navarre breitete seine Karteikärtchen auf der Tischplatte aus - für jeden Patienten eines; dann ordnete er sie nach der Reihenfolge des Auftretens der Krankheit. Behutsam öffnete Marissa ihre Aktentasche (wobei sie bemüht war, Dr. Navarre einen Einblick zu verwehren) und nahm ihren Notizblock und einen Bleistift heraus. Ihre Gedanken eilten zu dem kürzlich abgeschlossenen Kurs zurück, und sie rief sich den Grundsatz in Erinnerung, daß Informationen in verständliche Einheiten aufgegliedert werden müßten. Zunächst also zur Erkrankung: War sie wirklich neuartig? Gab es tatsächlich ein schwerwiegendes Problem? Das war sozusagen der Bereich des kleinen Einmaleins und einiger grundlegender Statistiken. Es war Marissa klar, daß sie die Erkrankung erst einmal genau charakterisieren mußte, ehe an eine eigentliche Diagnose gedacht werden konnte. Der nächste Schritt wäre die Feststellung der auf die Betroffenen persönlich bezogenen sogenannten »Wirtsfaktoren«, wie Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Ernährungsgewohnheiten, Hobbys usw. und dann die Bestimmung von Zeit, Ort und Umständen des erstmaligen Auftretens der Symptome bei jedem Patienten, um vielleicht irgendwelche Übereinstimmungen feststellen zu können. Als nächstes käme die Frage der Übertragung an die Reihe, die vielleicht Hinweise auf den Träger der Infektion geben könnte. Und schließlich müßte man eben
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