Marissa Blumenthal 01 - Virus
Mannes von selbst beantwortete. Dennoch öffneten sich Dr. Richters Augen, und Marissa fielen einige Blutgerinnsel in der Augenbindehaut auf.
»Nicht gut«, bekannte Dr. Richter, und seine Stimme war ein heiseres Flüstern.
»Stimmt es, daß Sie vor einem Monat in Afrika waren?« fragte sie. Sie mußte sich über ihn beugen, um ihn verstehen zu können, und ihr Herz flog zu ihm hinüber.
»Vor sechs Wochen«, gab Dr. Richter zur Antwort.
»Sind Sie dabei in Berührung mit irgendwelchen Tieren gekommen?« fragte Marissa weiter.
»Nein«, brachte der Kranke nach einer Pause mühsam heraus. »Ich sah zwar viele, aber kam mit keinem in Kontakt.«
»Kamen Sie mit Kranken zusammen?«
Dr. Richter schüttelte den Kopf; das Sprechen bereitete ihm offenbar Mühe.
Marissa richtete sich auf und deutete auf die Abschürfung unter dem rechten Auge des Patienten. »Haben Sie eine Ahnung, was das dort ist?« fragte sie Dr. Navarre.
Dr. Navarre nickte. »Er wurde zwei Tage vor Beginn seiner Erkrankung überfallen. Beim Sturz auf den Boden hat er sich dabei an der Wange verletzt.«
»Armer Bursche«, sagte Marissa, betroffen von Dr. Richters Schicksal. Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Ich glaube, ich habe für den Augenblick genug gesehen.«
Gleich neben der Tür, die in die eigentliche Intensivstation zurückführte, stand ein großes Gestell mit einem Plastiksack. Marissa und Dr. Navarre zogen ihre Schutzkleidung aus und warfen sie dort hinein. Dann kehrten sie in das Schwesternzimmer zurück. Wie unter Zwang wusch sich Marissa sofort die Hände im Waschbecken.
»Was ist mit dem Affen, der Dr. Richter gebissen hat?« fragte sie.
»Wir haben ihn unter Quarantäne gestellt«, antwortete Dr. Navarre. »Wir haben alle nur möglichen Kulturen an ihm getestet, aber er scheint gesund zu sein.«
Man hatte offenbar an alles gedacht. Marissa nahm sich nochmals Dr. Richters Unterlagen vor, um nachzuschauen, ob auch die Blutgerinnsel in der Bindehaut notiert worden waren. Jawohl, auch das war eingetragen.
Marissa holte tief Luft und schaute zu Dr. Navarre hinüber, der sie erwartungsvoll anblickte. »Nun«, sagte sie unbestimmt, »ich brauche noch viel Zeit, um mich mit diesen Unterlagen hier zu beschäftigen.« Plötzlich fiel ihr ein, daß sie einmal von einer Krankheitsart gelesen hatte, die man als von Viren erzeugtes und mit Blutungen verbundenes Fieber bezeichnet und daher »virales hämorrhagisches Fieber« genannt hatte. Die Erkrankung trat höchst selten auf, war aber tödlich, und eine Anzahl von Fällen war aus Afrika gemeldet worden. In der Hoffnung, damit etwas Ergänzendes zu den von den Klinikärzten bereits gemachten Diagnosevorschlägen beitragen zu können, verwies sie auf diese Möglichkeit.
»Ja, daran haben wir auch gedacht«, sagte Dr. Navarre. »Das war einer der Gründe, warum wir so rasch das Seuchenkontrollzentrum um Hilfe gebeten haben.«
Das war’s also schon mit dieser »Zebra-Theorie« - Marissa dachte dabei an die ihr einst eingebleute Maxime: Wenn du Hufschlag hörst, so denk an Pferde, nicht an Zebras! Aber es konnten eben auch Zebras sein…
Zu ihrer großen Erleichterung wurde Dr. Navarre zu einem Notfall gerufen. »Es tut mir leid«, sagte er, »aber ich werde in der Notaufnahme gebraucht. Kann ich noch etwas für Sie tun, ehe ich gehe?«
»Nun, ich meine, die Isolierungsmaßnahmen für die betroffenen Patienten sollten noch verstärkt werden. Sie haben sie ja hier bereits zusammengezogen, aber ich möchte vorschlagen, daß Sie sie in einen total abgeschlossenen Trakt verlegen und auch eine völlig gesonderte Betreuung veranlassen, und zwar mindestens so lange, bis wir Anhaltspunkte hinsichtlich der Übertragbarkeit haben.«
Dr. Navarre starrte Marissa an, und für einen Augenblick fragte sie sich, was er wohl denken mochte. Dann sagte er: »Ja, Sie haben vollkommen recht.«
Marissa ging mit den sieben Unterlagenmäppchen in einen kleinen Raum hinter dem Schwesternzimmer. Bei der Durchsicht erfuhr sie, daß außer Dr. Richter noch zwei Männer und vier Frauen wahrscheinlich dieselbe Krankheit hatten. Irgendwie mußten sie alle direkten Kontakt miteinander gehabt haben oder mit derselben Ansteckungsquelle in Berührung gekommen sein. Marissa rief sich in Erinnerung, daß es wesentlich für die Erledigung eines solchen Außenauftrags sei - zumal für ihren ersten -, soviel Informationen wie möglich zusammenzutragen und diese dann nach Atlanta zu übermitteln. Sie wandte sich
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