Marissa Blumenthal 01 - Virus
und schaute sich dann, während sie sich anzog, einen Teil der Frühnachrichten im Fernsehen an. Um halb neun war sie auf dem Weg ins Seuchenkontrollzentrum. Sie betrat ihr Büro, stellte ihre Tasche in den Aktenschrank und setzte sich an den Schreibtisch. Sie wollte feststellen, ob es inzwischen genug Informationen über Ebola-Viren gab, um statistisch die Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, daß der in den Vereinigten Staaten aufgetretene Stamm identisch mit dem Zaire-Stamm von 1976 war. Selbst wenn die Chancen dafür so gering waren, wie sie befürchten mußten, hätte sie damit eine wissenschaftliche Grundlage für ihre wachsenden Befürchtungen.
Aber Marissa kam nicht weit. Auf ihrer grünen Schreibunterlage lag eine interne Mitteilung. Als sie den Umschlag öffnete, fand sie darin eine kurze Nachricht, sie möchte sofort in Dr. Dubcheks Büro kommen.
Sie ging in den Virologiebau hinüber. Nachts hatte der eingegitterte Übergang ihr ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, aber jetzt im hellen Sonnenlicht kam sie sich darauf eingesperrt vor. Dubcheks Sekretärin war noch nicht da, und so klopfte Marissa an die offene Tür.
Dubchek saß hinter seinem Schreibtisch und war in Korrespondenz vertieft. Er blickte auf und sagte zu ihr, sie solle die Tür schließen und Platz nehmen. Marissa tat wie ihr geheißen und fühlte Dubcheks dunkle Augen jeder ihrer Bewegungen folgen.
Im Büro herrschte das übliche Durcheinander mit Stapeln kopierter wissenschaftlicher Beiträge auf jedem freien Eckchen.
Dieses Durcheinander gehörte offenbar zu Dubcheks Stil, obwohl er selbst immer wie aus dem Ei gepellt war.
»Frau Dr. Blumenthal«, begann er mit leiser und beherrschter Stimme, »wie ich erfahren habe, waren Sie letzte Nacht im Hochsicherheitslabor.«
Marissa gab keine Antwort - Dubchek hatte sie nicht gefragt, sondern eine Tatsache festgestellt.
»Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, daß Sie dort keinen Zugang haben, ehe Ihnen eine Zugangserlaubnis ausgestellt wird. Ich finde Ihre Mißachtung meiner Anweisungen bedenklich, um den mildesten Ausdruck zu benutzen, insbesondere nachdem Sie schon Tad veranlaßt haben, ohne Genehmigung Nahrungsmittelproben aus dem Medica-Hospital zu untersuchen.«
»Ich bemühe mich hier nach besten Kräften, meine Aufgaben zu erfüllen«, sagte Marissa. Ihre anfängliche Furcht schlug rasch in Ärger um. Offenbar wollte Dubchek es ihr nie vergessen, daß sie ihn in Los Angeles abgewiesen hatte.
»Dann sind Ihre besten Kräfte eindeutig nicht gut genug«, fauchte Dubchek. »Und mir scheint außerdem, daß Sie das Ausmaß der Verantwortlichkeit nicht richtig einschätzen, die das Seuchenkontrollzentrum gegenüber der Öffentlichkeit hat, insbesondere angesichts der derzeitigen AIDS-Hysterie!«
»Mir scheint, daß Sie sich da irren«, gab Marissa zurück und erwiderte seinen zornigen Blick. »Ich nehme unsere Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit sogar sehr ernst, und ich meine, daß die Verniedlichung der Bedrohung durch den Ebola- Virus kein guter Dienst an der Allgemeinheit ist. Es gibt keine stichhaltige wissenschaftliche Begründung dafür, daß wir mit einem weiteren Auftreten dieser Krankheit nicht rechnen müssen, und ich tue mein Bestes, um der Quelle auf die Spur zu kommen, ehe es wieder zu einem neuen Ausbruch kommt!«
»Frau Dr. Blumenthal, nicht Sie tragen hier die Verantwortung!«
»Das weiß ich sehr gut, Herr Dr. Dubchek. Wenn ich sie hätte, würde ich keinesfalls die offizielle Position stützen, derzufolge Dr. Richter den Virus aus Afrika einschleppte und dann eine noch nie dagewesene Inkubationszeit von sechs Wochen auftrat. Und wenn eben Dr. Richter nicht den Virus aus Afrika mitbrachte, dann ist die einzige bekannte Quelle dafür hier bei uns im Seuchenkontrollzentrum!«
»Und genau diese unverantwortliche Theorie kann ich nicht dulden!«
»Nennen Sie es ruhig Theorie«, sagte Marissa und stand auf. »Ich nenne es eine Tatsache. Nicht einmal in Fort Detrick haben sie Ebola-Viren. Es gibt sie einzig und allein am Seuchenkontrollzentrum, und dort befinden sie sich in einer Tiefkühltruhe, die mit einem gewöhnlichen Fahrradschloß gesichert ist. Eine merkwürdige Sicherung für den tödlichsten Virus, den die Menschheit kennt! Und wenn Sie meinen, das Hochsicherheitslabor sei sicher, dann denken Sie bitte daran, daß sogar ich hineinkam.«
*
Marissa zitterte noch immer, als sie ein paar Stunden später die Universitätsklinik betrat und dort
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