Mark Brandis - Bordbuch Delta VII (Weltraumpartisanen) (German Edition)
nicht im Stil und nicht in der Art der Formulierung, sondern in dem, was die diktierten Sätze enthielten. Mehr und mehr formte sich aus ihnen ein Eingeständnis eigenen Versagens, persönlicher Schuld, politischen Fehlverhaltens und ein Bekenntnis zu den neuen Machthabern.
Manchmal, wenn der Präsident im Diktieren innehielt und die Stirn runzelte, wie um sein Gedächtnis zu befragen, schien es Ruth, als könnte sie ein kaum wahrnehmbares Sträuben an ihm feststellen, eine innerliche Auflehnung gegen sich selbst. Doch diese Pausen waren nie sehr lang, meist diktierte der Präsident schon nach wenigen Sekunden mit neuem Eifer weiter, bis er schließlich – draußen war es schon dunkel – erschöpft den Kopf auf beide Hände stützte und die Augen schloß.
»Genug für heute.« Dr. Talan war aufgestanden. »Sie dürfen sich jetzt verabschieden und gehen, Miß O‘Hara.« Präsident Hirschmann öffnete die Augen.
»Ausnahmsweise hat dieser widerwärtige Mensch recht, Ruth. Ich bin tatsächlich ein wenig müde und abgespannt. Kopfschmerzen habe ich auch schon wieder. Wir machen morgen weiter – zur gewohnten Zeit. Machen Sie sich einen schönen Abend, mein Kind.«
»Danke, Sir«, sagte Ruth leise. »Ich werde es versuchen.«
Solange sie nichts anderes zu tun gehabt hatte, als diktierte Sätze auf ihren Stenogrammblock zu übertragen, war es ihr möglich gewesen, sich zu beherrschen. Damit war es vorbei. Die Unfähigkeit des Präsidenten, sich über sich selbst klar zu werden, erschütterte sie aufs neue und ließ ihre Beherrschung fast zerbrechen.
»Wie geht es eigentlich Ihrem Verlobten, diesem Piloten?« fragte der Präsident.
»Ich hoffe gut«, sagte Ruth und war froh, daß sie nichts zu erfinden brauchte. »Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr gesehen.«
»Grüßen Sie ihn von mir«, sagte der Präsident.
»Ich werde es nicht vergessen, Sir.«
Dr. Talan räusperte sich. »Miß O‘Hara, der Präsident braucht jetzt unbedingt seine Ruhe.«
Ruth nickte. »Ich verstehe.«
»Nun«, sagte Samuel Hirschmann rebellisch, »so ruhebedürftig bin ich auch wieder nicht, wie dieser Mensch Sie glauben macht. Aber trotzdem will ich Sie nicht aufhalten, wenn Sie es eilig haben. Gute Nacht, Ruth.«
»Gute Nacht, Sir.« Ruth verließ das Arbeitszimmer, und Dr. Talan ging eine Weile neben ihr her. Vor seiner Bürotür verabschiedete er sich.
»Auch ich wünsche Ihnen eine angenehme Ruhe, Miß O‘Hara. Und verbringen Sie nicht die ganze Nacht damit, Fluchtpläne zu schmieden. Es zahlt sich nicht aus.«
Ruth ging wortlos weiter, und Dr. Talan betrat sein Büro und rief Major Bertram an. Es erfüllte ihn mit Stolz und Genugtuung, feststellen zu dürfen, daß seine Diagnose sich bestätigt hatte. Der Präsident hatte endlich ernsthaft zu arbeiten begonnen, und wenn er in diesem Tempo weitermachte, konnte man in gut einer Woche das erste Kapitel seiner Memoiren erscheinen lassen.
Auch Major Bertram, der Lagerkommandant, sagte, das sei eine gute Botschaft, und er würde sie so schnell wie möglich dem General übermitteln – zusammen mit einer lobenden Erwähnung des behandelnden Arztes. Dann fragte er:
»Hat es mit der neuen Sekretärin irgendwelche Schwierigkeiten gegeben, die ich wissen müßte?«
Dr. Talan beeilte sich zu erwidern, daß es nicht die geringsten Schwierigkeiten gegeben hätte, und er setzte hinzu, daß es ihm fast leid täte, ein so bezauberndes junges Ding nach getaner Arbeit einfach auslöschen zu müssen.
Der Major lachte: »Sie machen mir Spaß, Doktor!« und beendete das Gespräch.
Zu diesem Zeitpunkt stand Ruth O‘Hara am Fenster ihres Zimmers und blickte hinaus in die Nacht. Die Totenköpfe machten ihre gewohnten Kontrollgänge. Über der Wüste waren die ersten Sterne aufgegangen, und die endlose Kiesfläche schimmerte matt.
Wenn man von den Totenköpfen absah, erinnerte nichts an ein Gefängnis. Es gab keine Gitter, Mauern und Zäune. Das, was das Lager zum sichersten Verwahrungsort der Erde machte, blieb unsichtbar: elektromagnetische Kraftfelder und akustische und elektronische Sperrgürtel, die jede Bewegung, jeden Laut registrierten und an die Zentrale weiterleiteten.
Ruths Blick streifte die silbrigen Rümpfe der Laser–Batterien. Sie standen dicht an dicht, zwanzig an der Zahl, und die weißen Totenköpfe auf ihren Rümpfen leuchteten. Ruth konnte hören, wie die Soldaten, die dazugehörten, sich unterhielten – belanglose Sätze, wie sie allenthalben unter wacheschiebenden
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