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Mark Brandis - Testakte Kolibri

Mark Brandis - Testakte Kolibri

Titel: Mark Brandis - Testakte Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Brandis
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Ich schwitzte, weil ich Angst hatte.
    »Haben Sie Schwierigkeiten, Neun ?«
    Dem Tower war mein Zögern nicht entgangen. Ich griff nach dem Regler, das Triebwerk begann auf einmal zu fauchen, und mein Kolibri hob ab.

Kapitel 04
    Ich ertappte mich, wie ich vor mich hinsang. Es war lange her, daß ich ein ähnliches Gefühl vollkommener Übereinstimmung verspürt hatte. Die Hermes , die ich bis zuletzt kommandierte, war ein großes Schiff mit einer achtköpfigen Besatzung. Hier jedoch war ich allein mit den Sternen und mit meinen Gedanken.
    Nie in meiner langen Laufbahn hatte ich ein Schiff gesteuert, das leichter und müheloser zu fliegen gewesen wäre: der Kolibri übertraf meine kühnsten Erwartungen. Man brauchte nicht Burowski zu heißen, um darin zum Poeten zu werden.
    Ich hatte das Schwerefeld der Erde durchstoßen, und vor mir lag der freie Raum mit allen seinen Verheißungen. Seitdem sang ich vor mich hin.
    In regelmäßigen Abständen kontrollierte ich die Armaturen. Sämtliche Aggregate arbeiteten zur vollsten Zufriedenheit, alle Anzeigen blieben normal, nirgendwo zeigte sich ein Mißklang in der Harmonie der Technik. Obwohl ich bester Laune war, blieb ich auf der Hut, geschult durch jahrelange Erfahrung. Wie lautete die unerbittliche Regel doch noch, die mir mein alter VEGA-Lehrer eingehämmert hatte? Ein Pilot, der schläft, ist so gut wie tot. Wachsamkeit und ein gesundes Maß an Mißtrauen gegenüber der technischen Perfektion blieben nach wie vor die zuverlässigsten Armaturen.
    Irgendwann in nicht ferner Zeit würde ein anderer Pilot auf meinem Platz sitzen und diesen Kolibri hineinlenken in eine fremde Galaxie, zu unerforschten Sternen und zu waghalsiger Landung auf unbekanntem Gelände. Ich war sein Wegbereiter. Mit meiner Unterschrift unter die Testakte stand ich für seine Sicherheit ein.
    Auf einmal mußte ich wieder an Baklanow denken, und damit war es mit dem Singen vorbei. Was ihm widerfahren war, zählte zu den Alpträumen eines jeden Piloten: in steuerlosem Schiff hinausgetragen zu werden in das schweigende Nichts. Wie mochte ihm zumute sein – nun, da alle Hoffnung längst erloschen war? Weinte er, betete er – oder hatte mildtätiger Wahnsinn ihn in jenen Zustand der Verzückung versetzt, der dem Tod unter den Sternen, wie man sagte, vorangeht?
    Es gab nichts, was sich für ihn noch tun ließ. Die Akte war geschlossen.
    Aber warum war es zu dieser Katastrophe gekommen? Was hatte sie ausgelöst – sie und die vier, die ihr bereits vorhergegangen waren? Mein Kolibri verweigerte mir die Antwort. Brav und gehorsam trug er mich meinem programmierten Ziel entgegen.
    Es war an der Zeit, mich zu melden. Im Tower warteten sie gewiß schon auf die blecherne Stimme, die aus dem Äther kam.
    » Kolibri Neun ruft Kolibri -Tower. Kommen!«
    In das Knistern im Lautsprecher mischte sich eine mir bekannte menschliche Stimme. » Kolibri -Tower ist auf Empfang. Die Verständigung ist gut, Nummer Neun . Ich erwarte Ihren Bericht. Kommen!«
    »Startverhalten positiv . Flugverhalten positiv . Alle Anzeigen normal . Beanstandungen keine . Kommen!«
    »Alles verstanden, Nummer Neun . Frage: Bleibt das Programm unverändert? Kommen!«
    »Keine Abänderungen, Kolibri -Tower. Ich gehe jetzt auf lunaren Kurs und werde voraussichtlich um 13.45 Uhr Metropoliszeit auf dem Gelände von VEGA-Luna landen. Ende.«
    »Weiterhin guten Flug, Nummer Neun . Und ebenfalls Ende.«
    Eine flüchtige Minute lang war die Einsamkeit unterbrochen gewesen. Nun umschloß sie mich wieder – stumm, unendlich, unergründlich, ein uferloses Meer des Schweigens, vor dem alles menschliche Maß versagte. Eine geringfügige Korrektur des Kurses – und vor mir lagen Millionen, Milliarden von Jahren, eine Welt ohne Anbeginn und Ende. Und eine Generation zuvor noch hatte die Menschheit Gott abschwören wollen – im lächerlichen Vertrauen auf die eigene Vernunft und Größe? Welch wahnwitzige Vorstellung!
    Der lunare Kurs war eingesteuert. Bis jetzt gab es für mich keinen Anlaß, mit dem Flug zufrieden zu sein. Der Wurm machte sich über mich lustig. Noch immer wußte ich nicht, wo er sich versteckt hielt. Nun, vielleicht würden nach diesem Flug die Ingenieure und Mechaniker von VEGA-Luna ihm auf die Spur kommen.
    VEGA-Luna war eine unserer neuesten Errungenschaften: ein auf dem Mond errichtetes Kontrollzentrum für das Kolibri -Programm. Da der Mond aufgrund internationaler Absprachen zu den sogenannten neutralisierten Zonen im Raum

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