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Mark Bredemeyer

Mark Bredemeyer

Titel: Mark Bredemeyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Runenzeit 1- Im Feuer der Chauken (German Edition)
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selbst ausgesucht worden sein mussten. Da auch die Muttergöttin ihren Anteil an den gefallenen Kriegern hatte, wurde teilweise sogar spekuliert, wer nun wohl bei wem in der Halle säße. Ich vermutete, dass diese Vorstellung es den Zurückgebliebenen erträglicher machte, mit dem zahlreichen und unerwarteten Tod umzugehen. Langsam schritt ich über das Feld und erschrak darüber, was zwischenzeitlich mit den meisten der römischen Leichen geschehen war. Viele der Toten waren als Opfer an Wodan in die riesige Esche gehängt worden und baumelten dort – weithin für jedermann sichtbar – als grausige Erinnerung an den Angriff heute Morgen. Einige noch lebende Gefangene ließ man »das kalte Ross des Galgens reiten«, wie sie es nannten. Sie wurden langsam an einem Strick in die Esche hochgezogen und erstickten dort qualvoll und elendig. Andere waren an die zahlreichen Bäume, die die Wiese säumten, genagelt oder gebunden worden, meistens kopfüber. Der Anblick war grausig. Die getöteten römischen Offiziere hatte man erst geköpft, ihnen dann die Augen ausgestochen und die Zungen herausgeschnitten, damit ihre Geister nicht mehr erkennen konnten, wer sie besiegt hatte. Vielen von ihnen hatte man Hände und Füße abgeschlagen für den Fall, dass sie als Wiedergänger den Weg zurück unter die Lebenden suchten. Manchen Schädeln zogen die Krieger gar die Kopfhaut ab, um sich mit den Skalps der Getöteten zu schmücken! Entweder wurden sie an ihren Schilden befestigt oder auf die langen Lanzen gespießt.
    Auch die bis vor wenigen Stunden noch friedvoll und sanft geschwungene Silhouette der Uferdünen bildete jetzt einen scheußlichen Anblick. Als weithin sichtbares Zeichen für den heute davongetragenen »Sieg« waren die Köpfe der Offiziere auf Äste gespießt und auf den höchsten Dünen in den Sand gerammt worden. Dazwischen steckten einige der erbeuteten Standarten der geschlagenen Kohorten und Centurien.
    Am Rande des Feldes, dicht bei dem enormen Haufen aufeinandergeschichteter Leichen, saß Werthliko. Er beobachtete teilnahmslos, wie Krähen und Möwen sich an den Kadavern gütlich taten und Augen, Lippen und andere Weichteile in den Gesichtern der Toten zerhackten. Sie ließen sich kaum durch die zahlreichen Männer stören, welche dabei waren, Gestrüpp und Holz für die Verbrennung heute Abend um die Toten herum aufzuschichten. Irgendwo in diesem Haufen lag sein Vater und mein guter Freund, Skrohisarn.
    »Es tut mir leid, Werthliko!«, murmelte ich und setzte mich. Schweigend sah ich über das Schlachtfeld, die Arbeit der gnadenlosen Rabenvögel mochte ich nicht beobachten. »Du musst deinen Arm reinigen und verbinden lassen, sonst entzündet sich die Wunde«, sagte ich mit Blick auf die unbehandelte Verletzung an seinem Arm. Doch Werthliko überging meinen Ratschlag.
    »Er hatte ein langes Leben. Aber seit dem Tod meiner Mutter und dem Weggang von mir und meinen Brüdern war er, glaube ich, müde davon …«
    Er machte eine kurze Pause.
    »Ich denke, meine Trauer ist größer, als er es gewollt hätte! Wenigstens ist er im Kampf gefallen und nicht den Strohtod gestorben. Mein Vater ist jetzt fortgegangen, um unsere Ahnen zu besuchen, und sein Heil bleibt aufgrund seiner Taten in dieser Welt wohl erhalten. Er hat trotzig und furchtlos gekämpft!«
    Dieser Gedanke spendete allen hier wirklichen Trost, wie ich verwundert feststellte.
    »Bevor wir aufbrachen«, entgegnete ich ihm, »befragte er noch die Losstäbe. Und die Runen hatten ihm sein Schicksal richtig prophezeit, hatten ihm vom Tod gekündet! Er war zwar besorgt, entschloss sich aber dennoch zum Aufbruch.«
    »Ja, das passt zu ihm. Er hat sich wahrscheinlich im Nachhinein gegrämt, überhaupt die Stäbe befragt zu haben. Seine Schwester, meine Tante Hravan, hat es ihn gelehrt und er konnte nie davon lassen.«
    Es war schon erstaunlich: Die Runen hatten ihn gewarnt! War es Zufall gewesen oder hatte ihn seine Intuition die Stäbe so interpretieren lassen? Hatten sie tatsächlich für einen kurzen Moment den Blick auf etwas freigegeben, was ich weder kannte noch verstand? Sein Schicksal?
    Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Unterarmen. Dass es offenbar Dinge gab, von denen ich nichts wusste, hatte ich nur zu gut am eigenen Leib erfahren müssen.
    »Wann wird die Verbrennung stattfinden?«, fragte ich.
    »Zur Dämmerung, dann, wenn die Grenzen zwischen den Welten für kurze Zeit verschwimmen«, sagte er und schaute mich leicht verwundert an. »Wann

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