Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)
meine Sucht hatten ihren Sinn. Ich lerne, mir selbst zu verzeihen: „… und vergibst uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ Werter Leser und werte Leserin, bitte vergeben Sie mir den Indikativ an dieser Stelle aus dem Vaterunser. Normalerweise steht dort ein Imperativ. Was ich erlangt habe, ist Gewissheit. Ich nehme diese Gewissheit hinein in meine Lebensgleichung, laufe zurück zum himmlischen Einkaufsladen, zahle den „Preis“ für Empathie und Humor, sage Danke zu meinem Schöpfer und mache mich auf die Socken. Der „Preis“, den ich bezahle, ist Bescheidenheit. Und das Leben unter diesen Vorzeichen ist wunderschön, denn – Sie ahnen es – meine Heiterkeit wächst täglich.
Die schönste Zeit meiner Jugend war dadurch geprägt, dass ich eine regelrecht zurückhaltende Ausstrahlung hatte. Einige Mädchen zum Beispiel fühlten sich von meiner Feinfühligkeit und meiner durchdringenden Art angezogen. Das konnte ich: Zuhören und abwarten. In das geheimnisvolle Wesen eines Mädchens konnte ich mich sehr gut hineinversetzen. Ich unterbrach einfach den Strom der durch meinen Kopf rasenden Straßen und konzentrierte mich tausendprozentig auf mein duftendes Gegenüber. Weibliche Wesen! „Ich war wie ein Wiesel, das wachsam durch den Wald streift. Ich war ein Wiesel, das in den verborgenen Winkeln suchte, in den Sträuchern und Höhlen.“ Das hört sich komisch an? War aber so, ich habe es aufgeschrieben. Im übertragenen Sinn war ich auch sehr vorsichtig, denn ich konnte ja nie wissen, ob mir vielleicht der Himmel auf den Kopf fallen würde.
Da ist etwas, was die anderen an mir mögen und schätzen. Es ist womöglich etwas, das sich sowohl zum Allgemeinwohl als auch für berufliche – sprich praktische – Zwecke einsetzen lässt! Ich probiere es aus und bekomme von meinen Freunden den Beinamen „Vermittler“. Ich bringe andere Menschen zusammen. Ich knüpfe Verbindungen, die teilweise ein Leben lang halten. Tief im Herzen bin ich aber ein Mädchen. Meine Mutter verdreht jetzt gerade zum wiederholten Mal die Augen. „Mama, alles wird gut. Du bist unschuldig.“ Nicht nur, dass ich mir gerne schöne Sachen anziehe. Ich betrachte mich auch gerne und achte auf körperliche Veränderungen. Meine Brüste sind weiblich. Dazu lange Haare und langen Wimpern. Ich laufe durch mein Leben wie zwei Kinder gleichzeitig, ich weiß nicht, zu welchem Geschlecht ich gehöre.
Und eines Tages beschließe ich, eine Mütze zu tragen. Irgendwann bilde ich mir ein, sie sei ein Schutz für mich. Anfangs ist eine Strickmütze aus einem Dritte-Welt-Laden mein Begleiter. Wie ein energetischer Helm wird sie ein Teil von mir. Ich trage sie so oft, sogar in der Nacht, bis mir davon die Haare ausfallen. Schließlich ersetzt eine Baskenmütze die Strickmütze und wird gleichzeitig zu meinem Markenzeichen. Ich bin jetzt ein Freiheitskämpfer! Wenn meine Mutter das gewusst hätte, sie hätte mich zum Arzt geschickt. Sie aber dachte, ich trage sie, damit die Frisur hält!
Es war eine schöne Zeit. Quasi so etwas wie eine Zeit der Selbstfindung. Im Wesentlichen spielte sich mein Leben im Herzen von Mädchen ab. Ich lernte, sozusagen den weiblichen Menschen an sich zu lieben, freilich auch aus der Perspektive eines Mädchens, das ich zu sein glaubte.
Und ich habe immer erst Verstecken gespielt! Sie kennen das, dieses süße Kinderspiel: Augen zu und durch die Finger blinzeln, ob der andere noch da ist. Als nächste Stufe den Blick aushalten. Die Augen als Kanal spüren. Dann weiter über die Hände zu den Füßen. Die Unendlichkeit des Berührens erkläre ich zur Kunstform. Stundenlang liege ich nach einem Besuch bei K. im Gras und denke: „Ich bin eine Brücke, die dieses Mädchen überqueren kann. Eine Brücke, die sich unter ihren Füßen in Wasser verwandelt.“ Und die Nächte bei meiner Klassenkameradin L. sind eine einzige Poesie des Vergehens vor Sehnsucht. Sie weint, wenn ich Geschichten erzähle. Ihre Erinnerungen gehen auf meinen Worten spazieren. Beim nach Hause Gehen weine ich, zittere vor Glück und flüstere: „Mein Selbst wird zu ihrem Selbst. Jetzt bin ich der reißende Strom.“ Doch eigentlich bin ich nur ein Wiesel mit großen Ohren. Merken die Mädchen, dass ich bisexuell empfinde? Und ob Gott etwas dagegen hat?
Die erste körperliche Liebe wird ein Hindernislauf. Das sportliche, sehr intelligente Mädchen verweigert sich mir, vielleicht wäre sie die Liebe meines Lebens geworden. Aber
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