Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)
reinste Konsumterror ist das! So viel Wasser kann ich gar nicht trinken, um diesen blöden süßen Nachgeschmack wieder loszuwerden.
Ich beneide manchmal die wahren Genießer. Sie können gepflegt tanken und das Leben feiern. So wie auf den Cocktail-Partys damals bei uns zu Hause.
Die Erwachsenen feiern gepflegt und ausgelassen, und ich muss mich in der Küche lediglich entscheiden, ob ich erst aus den bereits abgeräumten Gläsern schlecken soll, diese leckeren Pfützen mit Kokosmilch, Ananas, Eigelb und dem kleinen Schuss Rum, oder ob ich vielleicht gleich aus der Flasche mit der lustigen Fledermaus drauf trinken soll. Batman und Robin Majowski werden genau in diesem Moment geboren. Eineiige Zwillinge. Von da an sehe ich alles doppelt.
Um der Fröhlichkeit der Party nachzueifern, laufe ich von der Küche durch den Flur in mein Kinderzimmer. Ich verpasse die Tür und lande im Wohnzimmer, ein Hühnerei in der Hand, das ich eigentlich ausbrüten wollte. Ich starre die versammelte Schar von Freunden meiner Eltern stumm an. Sie starren stumm zurück. Dann rufe ich: „Ich lege euch ein Ei. Ich bin die Henne!“
Ich bewege mich auf die Leute zu, lege in ihrer Mitte das Ei: Ich lasse es aus meinem Schlafanzug plumpsen. Und dann sage ich: „Der Hahn bin ich auch noch!“ Es folgt ein markerschütternder Hahnenschrei. Damit werde ich berühmt, darf ihn immer wieder vorführen. Gerne auch heute noch. Alles andere ist schnödes Beiwerk. Das Huhn, das Ei, Telekom-Werbung, Sieben Zwerge, Kino-Filme, „Die Dreisten Drei“ – Der Hahnenschrei ist das Sahnehäubchen.
Mein Vater besteht darauf, dass ich mein Abitur mache, bevor ich ins Showbusiness darf. Wahrscheinlich wäre ich als minderjähriger Hahn zum Kinderstar mutiert und hinge heute an der Nadel. Danke, Papa!
Als Sohn eines Berliner Philharmonikers hätte ich auch noch länger studieren können. Wollte ich aber nicht. Bereits während des Studiums hab ich den Rat meines Vaters befolgt und eigenes Geld dazuverdient. Gott sei Dank. Wenige Jahre vor seinem Tod war klar, dass eine große deutsche Bank sein halbes Vermögen quasi in den Sand gesetzt hatte. Ich wusste, wie schwer mein Vater dafür arbeiten musste, dass es uns gutging. Ich habe ihn so sehr geliebt, dass ich einfach immer vorbildlich sein wollte. Meine Abgründe nahmen im Verborgenen viel Raum ein, nach außen war ich aber ein Vorzeigesohn. Das ist schön und gut, auf der anderen Seite hat es jedoch die wirkliche Abnabelung von zu Hause verhindert. Es gab keinen mächtigen Rums zwischen meinen Eltern und mir. Markus haut auf den Tisch? Gab es nicht, ebenso wenig wie irgendeinen Aufstand. Da war kein Ereignis, unter dessen Wirkung ich die Flucht nach vorne angetreten hätte. Ich habe alle Krisen unserer Familie mitgetragen, auch in meiner Zeit als Jugendlicher, als ich aktiv süchtig war. Ich stand mit 19 Jahren bereits auf eigenen Beinen, war aber zu stark emotional abhängig von der Meinung meiner Familie. Meinung wohlgemerkt, nicht Liebe. Die Liebe in unserer Familie hat einen anderen, viel stärkeren Einfluss auf uns alle gehabt. Ich war nicht Rebell genug, um wenigstens einmal richtig wegzulaufen. Auf und davon, sich die Hörner abstoßen – das hat bei mir nicht stattgefunden. Es gab Momente, in denen über dem, was in der Familie passierte, das Damoklesschwert „öffentliche Meinung“ hing: Was mögen die anderen Leute wohl von uns denken? Ich schreibe dieses Buch, und die Furcht vor der öffentlichen Meinung zerbricht. Die Liebe bleibt. So soll es sein, Liebe ist stärker als die Furcht. Ich mache niemandem Vorwürfe. In fast jeder Familie gibt es gewisse Konventionen, die zu Abgrenzungen und Schutzmaßnahmen umfunktioniert werden. Eine meiner Mitschülerinnen zum Beispiel kam aus einer sogenannten Ökofamilie. Sie war wahnsinnig aufgeklärt und naturverbunden, aber sie hatte schwer zu kämpfen mit der Realität und den auf Erfolg getrimmten Ansprüchen der Gesellschaft. Ihre Familie wagte es nicht, die Konvention von „ökologisch korrekt“ zu durchbrechen und war infolgedessen auf ihre Weise mindestens ebenso verklemmt wie wir als Familie Majowski. Die Mitschülerin ist andere Wege gegangen als ihre Eltern. Das Renommee der Eltern wird durch die Lebensweise der Tochter scheinbar beschädigt. Der Druck der familiären Konvention plagt sie hoffentlich nicht mit Schuldgefühlen, denke ich oft. Um Schuldgefühle zu empfinden, bedarf es der schmerzhaftesten Form von Manipulation, die aber in den
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