Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)
wie der Tod offener angegangen wird.
Ich wünsche mir, dass die Bereitschaft der Menschen zunimmt, Kinder in ihrer Trauerarbeit ernst zu nehmen, ihnen Zeit zu lassen und ihnen vor allem einen geschützten Raum dafür zu geben. Ich kann vielleicht vielen Menschen Mut machen, ihr Denken zu erneuern und solche Sätze wie „Kind, jetzt reiß dich doch mal zusammen, du kannst doch nicht ewig Trübsal blasen!“ zu überdenken. Jeder kann Verständnis zeigen und die Arme öffnen, bereit für den Schmerz sein, das Schweigen und die Tränen. Vorsicht ist geboten. Aufdrängen darf man sich meiner Meinung nach nicht.
Wenn ich auf Tournee bin, atme ich das Ruhrgebiet in besonderer Weise ein. Die Kindheit und Jugend meines Vaters haben sich dort abgespielt. Hier sind die Erinnerungen an meinen Vater gut aufgehoben. Ich habe meine Trauerreise beendet.
Was hat mein Glaube mit mir gemacht? Wie lebe ich heute? Durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag, durch die Nacht ziehen sich meine Aufgaben: Film, Theater, Meetings und vieles mehr. Das Tagewerk scheint sich oft an den beruflichen Herausforderungen auszurichten. Aber die Struktur des Gebetes hält alles zusammen.
Die Theatervorstellung geht zu Ende. Der letzte Satz, das letzte Wort ist gesprochen. Das Licht geht aus, der Vorhang schließt sich. Die Hände der Menschen setzen sich in Bewegung. Sie erzeugen einen schönen Klang. Verschwitzt und erschöpft sammeln sich die Schauspielerkollegen am Bühnenrand. Ich spüre ihre Hände. In unseren Gesichtern klingen die Figuren nach, die wir gerade gespielt haben. Für Sekunden sind wir hinter dem Vorhang mit uns alleine. Liebe breitet sich in meinem inneren Gebet aus. Ich sage Danke.
Der Vorhang öffnet sich und wieder stehen wir im Licht. Es ist ein mildes Licht. Ich sehe die Gesichter im Publikum. Einige sind mir sehr nahe, Augenkontakt entsteht. Mein Rumpf neigt sich dem Boden entgegen, der Kopf möchte die Bretter unter mir berühren. Ich atme durch. Während der Applaus anschwillt wie ein frischer Brotteig im Ofen, denke ich an den Spruch: „Was tut ein Schauspieler, wenn er das Rauschen des Regens hört? Er verbeugt sich.“ Ich kichere in mich hinein, weil ich das so herrlich albern finde. Ich bin froh, dass ich heute gesund und unbeschadet meinen Heimweg antreten darf. Ich bin frei von Erkältungen und anderen Zipperlein. Der Applaus ist für einen Moment meine Nahrung. Er ist die Anerkennung für unsere Arbeit. Meine eigentliche Nahrung aber ist der Einklang, den ich verspüre. Ich bin im Reinen mit Gott und dem, was er mir als Aufgabe gestellt hat. „Tu deine Arbeit frei von Eitelkeit. Tu es richtig.“
Der Vorhang schließt sich für heute zum letzten Mal. Eine ganze Saison ist vorbei. Arbeitslicht. Alle brechen auf in Richtung ihrer Garderoben. Mein Ruf erklingt: „Danke ans Team, danke an die Technik, danke ans Haus.“ Ich umarme die Kollegen, wir sehen uns vielleicht bei einer anderen Produktion wieder. Das Kostüm geht nur schwer vom Leib herunter. Ich spüre die zusätzlichen Kilos, die mir auch diese Tournee beschert hat. Es ist okay. Es ist alles ganz normal. Fast. Doch ich bin in einer fremden Stadt. Ich sitze minutenlang auf einem kalten Holzstuhl und bemerke meine Tränen nicht. Erst die Kälte an den Füßen lässt mich aufschrecken. Kindheitsweisheiten fluten mir durch den Kopf: „Einen kühlen Kopf und warme Füße sollst du haben!“
Ich fange an zu beten: „Lieber Gott, lass mich in meiner Mitte bleiben. Bitte hilf mir.“ Nur für heute muss ich keine Mahlzeit auf mein Zimmer bestellen. Nur für heute muss ich nicht auf dem Sofa sitzen und schlemmen. Der Zeitraum „Heute“ erscheint mir in diesem Moment riesig lang. Dann Hemd und Hose auf den Bügel. Wasser fürs Gesicht, Wasser für die Kehle. Licht aus und kurz innehalten. „Habe ich alles?“ Augen zu. „Ja, alles ist da.“
Es ist schön, nicht in Eile sein zu müssen. Alle Klarheit meines Erwachsenenseins darf sich in diesem Moment sammeln. Mein Selbst fühlt sich gut an. Wie am allerersten Tag meines neuen Lebens. Wie in diesem Moment, als ich meine Probleme zum ersten Mal in der Gruppe ausgesprochen hatte, ist dieses Gefühl jetzt gerade. Ich bin geborgen.
Draußen im Foyer sind Menschen, die warten. Herzliche Blicke, das eine oder andere Autogramm. Und Freunde, die sich angekündigt hatten, stehen dort und strahlen mich an. „Hallo! Da seid ihr! Du bist schwanger! Herzlichen Glückwunsch euch beiden! Erzählt!“ Das ist ein
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