Marlene Suson 1
darüber zerbrach, wie man Rachel begreiflich machen konnte, daß sie in ernster Gefahr war.
Während Morgan den Cognac einschenkte, sagte er: „Du mußt deinen ganzen Einfluß geltend machen, damit George nach Eng- land zurückkommt, wo Griffins Leute ihn wenigstens im Auge behalten können.‚
Jerome runzelte die Stirn. „Dafür müßte ich nach London. Ich will mich aber nicht von Rachel trennen.‚ Seit dem Vorfall am Bach ließ er sie kaum noch außer Sichtweite. Er sorgte sich ständig um sie. Wenn sie nachts im Schlaf aus seinem Arm glitt, wachte er auf und griff nach ihr, um sich zu vergewissern, daß sie noch da war.
Obwohl er sich selbst eingestanden hatte, wie sehr er sie liebte, hatte er sich noch nicht überwinden können, es ihr auch zu geste- hen. Eine nagende Angst vor dem, was geschehen könnte, wenn er sie mit nach London nahm, hielt ihn zurück.
„Nimm Rachel einfach mit‚, sagte Morgan und reichte ihm ein Glas. Dabei fiel ihm Jeromes finstere Miene auf. „Was stört dich an dem Vorschlag?‚
„Und dann? Du weißt genau, daß jeder Stutzer hinter ihr her sein wird. Für diese Burschen ist das nur ein Spiel, aber wie lange wird Rachel dem Dauerbeschuß standhalten?‚
„Du unterschätzt deine Frau.‚
„Und du unterschätzt die Salonlöwen.‚ Er durfte gar nicht daran denken, was Rachel von ihnen drohte.
„Du irrst dich in bezug auf Rachel. Aber du kannst sie auch nicht ein Leben lang hier verstecken.‚ Morgan nahm einen Schluck Co- gnac. „Erinnerst du dich, als wir noch Kinder waren und dieses Pferd mich abwarf? Ich wollte nicht wieder aufsteigen, doch du
hast darauf bestanden. Du sagtest, es sei besser, mich mit mei- nen Ängsten auseinanderzusetzen, weil ich sie nur so überwinden könnte.‚
Jerome lächelte versonnen. Morgan war damals wieder aufs Pferd gestiegen und hatte ihm gezeigt, wer der Herr war.
„Nun, jetzt gebe ich dir den gleichen Rat, großer Bruder. Nimm Rachel mit nach London und stell dich der Wahrheit, anstatt sie hier zu verstecken und darüber zu grübeln, was geschehen könnte. Wenn ihr in London seid, bleib so lange, wie es dauert, dich von ihrer Aufrichtigkeit zu überzeugen.‚
Morgan hatte recht. Es war besser, die Wahrheit herauszufin- den, als Spekulationen darüber anzustellen. Jerome hatte nicht einmal die Ausrede, auf Royal Elms unabkömmlich zu sein. Die letzten zwei Wochen hatten bewiesen, daß sein Bruder mit allen Problemen allein fertig wurde. Er würde also mit Rachel nach London fahren und dort bleiben, bis er seiner Sache sicher war.
„Bis zum Sommerfest mußt du allerdings noch hierbleiben‚, sagte Morgan. „Aber das sind ja nur noch zwei Tage. Am nächsten Morgen könnt ihr beide dann abreisen.‚
„Willst du Royal Elms für mich leiten, solange ich fort bin?‚
Diese Bitte zauberte einen Ausdruck stolzer Freude auf Mor- gans Gesicht, den sein Bruder lange nicht vergessen würde. Ra- chel hatte recht behalten. Sie hatte genau gewußt, was Morgan brauchte.
Sie hatte in so vielen Dingen recht behalten.
„Du wirst es nicht bereuen, mir vertraut zu haben, Jerome‚, versicherte Morgan.
Jerome hob sein Glas und prostete seinem Bruder zu. „Glaub mir, ich habe dir immer vertraut, doch ich hatte einfach Skrupel, dir meine Pflichten aufzuhalsen.‚
Zwei Tage später beobachtete Jerome, wie unten auf dem großen Rasen die Vorbereitungen für das Sommerfest getroffen wurden. Lange Tische waren aufgestellt worden. Bald würden sie sich un- ter dem Gewicht der aufgefahrenen Speisen biegen. Für Kinder und Erwachsene würden Spiele und Wettbewerbe stattfinden, und später am Abend sollte auf der großen Terrasse zum Tanz aufgespielt werden.
Wer immer zu Royal Elms gehörte – Dienstboten, Pächter, Arbeiter und deren Familien – war eingeladen. Das bedeutete eine Riesengesellschaft, die durch die zusätzlichen Leute, die Je-
rome in den letzten Monaten eingestellt hatte, noch vergrößert wurde.
Auch Rachel hatte sich mit Feuereifer in die Vorbereitungen gestürzt. Ihre Begeisterung war ansteckend gewesen, und sogar Jerome, der stets einen Horror vor diesem Fest gehabt hatte, be- gann sich ein wenig zu freuen.
Er wußte nicht, welcher seiner Vorfahren mit dieser Tradition begonnen hatte. Auf jeden Fall reichte sie mindestens bis auf den fünften Herzog zurück, vielleicht sogar noch weiter. Sein erstes Sommerfest hatte Jerome auf den Armen seiner Mutter erlebt.
In all den Jahren war das Ritual nie geändert worden: Der Duke
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