Marlene Suson 1
bis zur Bewußtlo- sigkeit geliebt. Für diese Schwäche hatte er sich selbst gehaßt. Jeromes Hände krampften sich um sein Glas.
Morgan und Ferris waren sicher, daß Rachel die letzten Nächte nicht mit Denton verbracht hatte, doch Jerome war vom Gegen- teil überzeugt. Er leerte sein Glas. Bald würde er die Wahrheit erfahren.
Es war fast Mitternacht, als sie zum Witwensitz zurückkehr- ten. Sie banden ihre Pferde ein Stück vom Haus entfernt an, da- mit niemand sie bemerkte. Die Sterne und ein fast voller Mond machten die Nacht ziemlich hell und leuchteten ihnen auf dem Weg zum Haus. Als sie sich dem Witwensitz näherten, konnten sie im Mondlicht deutlich zwei Pferde in der Nähe der Haustür erkennen, von denen eines einen Damensattel trug.
Kerzenlicht schimmerte durch die dünnen Vorhänge, die an den geöffneten Fenstern des Schlafzimmers hingen.
Die drei Männer schlichen näher. Durch die offenen Fen-
ster hörten sie die unverwechselbaren Geräusche des Bei- schlafs.
Heiße, unkontrollierte Wut packte Jerome. Ohne links und rechts zu schauen, marschierte er mit langen Schritten ins Haus und stieß die Tür zum Schlafzimmer auf, Morgan und Ferris dicht auf den Fersen.
Erst jetzt bemerkte das Paar auf dem Bett, daß es nicht mehr allein war. „Was, zum Teufel ...‚ fuhr Anthony Denton auf.
Er glitt von der Frau herab, die splitternackt unter ihm lag, und Jerome starrte sie wie vom Donner gerührt an.
Er mochte seinen Augen kaum trauen.
30. KAPITEL
Wie von fern hörte Jerome Morgans spöttische Stimme: „Ei ei, wen haben wir denn da? Die heilige Emily, und noch dazu in so teuflischer Gesellschaft.‚
„Raus!‚ kreischte Emily. Sie hörte sich an wie ein Fischweib. „Wie können Sie es wagen, hier einzudringen? Dafür werden Sie die Peitsche kriegen!‚
„Nicht wir‚, gab Morgan grinsend zurück. „Sie und Ihr Lieb- ster sind es, die unbefugt fremdes Eigentum betreten haben. Die Strafe dafür ist Ihnen ja wohl bekannt.‚
Das machte sie mundtot.
Denton raffte sich auf und sprang aus dem Bett. Auch er war so nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte. Hastig griff er nach sei- ner Hose.
Angewidert von Emilys Anblick auf dem Bett, wandte Jerome sich ab und ging hinaus. Armer Sir Henry! Er war zu bedauern. Noch nicht einmal verheiratet und schon gehörnt.
Wenn Jerome Emily nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, er hätte ihr ein so unehrenhaftes Verhalten niemals zugetraut. Wenn er je eine Frau für absolut zuverlässig und treu gehalten hatte, dann die fromme Emily.
Gab es denn wirklich keine einzige Frau auf der Welt, der man trauen konnte?
Während er durch den Flur ging, kam ihm zum Bewußtsein, daß Bill Taggart in bezug auf Emily viel mehr Klarsicht bewiesen hatte als er selbst.
Als Jerome die Haustür erreichte, holte Denton ihn ein. Er war noch dabei, seine Hose zuzuknöpfen.
„Bevor ich London verließ‚, sagte Jerome, „hatte ich Besuch von Ihrem Diener Leonard Tarbock.‚
„Ich habe keinen Diener dieses Namens‚, gab Tony verdutzt zu- rück. „Abgesehen davon habe ich überhaupt keine Diener mehr. Sie sind mir schon vor Wochen weggelaufen, weil ich ihre Löhne
nicht mehr zahlen konnte. Ich stehe mit einem Bein im Schuld- turm.‚
Ein leiser Hoffnungsschimmer blitzte in Jerome auf. War es möglich, daß Rachel die Wahrheit gesagt hatte? Er erinnerte sich an ihr verzweifeltes Gesicht. Ich schwöre zu Gott, daß ich diese Briefe nicht geschrieben habe. Ich habe sie nie zuvor gesehen.“
Die Hoffnung erhielt neue Nahrung, als er daran dachte, daß der Kapitän der Betsy ebenfalls abgestritten hatte, den Brief an die Wingates geschrieben zu haben. Konnte es da einen Zusam- menhang geben?
Denton zog eine verächtliche Grimasse. „Glauben Sie mir, ich wäre nicht hier, wenn meine Lage nicht so verzweifelt wäre.‚
„Dann war also Emily die Frau, um die es bei Ihrer Wette ging?‚
Denton nickte. „Meinen Sie etwa, es hat mir Spaß gemacht, diese Schreckschraube zu verführen. Ich habe die Wette bloß an- genommen, weil es die letzte Chance war, meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.‚
„Und jetzt haben Sie auch noch drei Zeugen, die bestäti- gen können, daß Sie die Wette gewonnen haben‚, stellte Je- rome fest.
„Wäre ... wäre es zuviel verlangt, wenn ich Sie bitte, Ihrer Frau nichts davon zu erzählen?‚
„Weshalb ist Ihnen das so wichtig?‚
„Ich will nicht, daß sie noch schlechter von mir denkt, als sie es ohnehin schon tut. Rachel ist die einzige
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