Marlene Suson 1
nicht beantworten‚, stammelte sie.
„Ich verstehe.‚ Nun wußte Jerome Bescheid. Wäre er des Ob- jekt ihres Interesses gewesen, dann hätte sie die Chance genutzt, es ihm zu signalisieren. Er preßte die Lippen zusammen. Denton hatte recht. „Gute Nacht, Lady Rachel‚, sagte er kurz und wandte sich ab.
Rachel war kaum zwei Minuten fort, als Anthony Denton sich ebenfalls verabschiedete.
„So früh?‚ bemerkte Jerome süffisant.
„Ohne Lady Rachel hat die Gesellschaft entschieden an Glanz verloren.‚
Das stimmte. Jerome hatte ebenfalls keine Lust mehr zu blei- ben, und so verabschiedete auch er sich kurz darauf.
Oben in seinem Zimmer trat er ans Fenster. Dicke graue Wol- ken hingen am Himmel, die in der Ferne von einem Blitz zerris- sen wurden. Eine Minute später folgte das dunkle Grollen des Donners. Das Unwetter schien näher zu kommen. Es war keine Nacht, um ins Freie zu gehen.
Um so mehr überraschte es Jerome, als eine Gestalt aus einer Seitentür trat und zu den Ställen eilte. Es war eindeutig Anthony Denton.
Wo, zum Teufel, wollte er hin?
Keine zwei Minuten später bewahrheiteten sich seine schlimm- sten Befürchtungen. Eine zweite Gestalt schlüpfte aus dem Haus. Es war Lady Rachel, in einen weiten Mantel gehüllt.
Er beobachtete, wie sie den Hügel hinab verschwand.
Unbewußt umkrampften Jeromes Hände die Brokatvorhänge, die das Fenster einrahmten. Es lag klar auf der Hand, daß Rachel sich mit Denton treffen wollte.
Ein paar Minuten später erhellte ein Blitz die Szene, und Je- rome erkannte in einiger Entfernung zwei Gestalten zu Pferde, von denen die eine im Damensattel ritt.
Angewidert wandte er sich vom Fenster ab. Wieder einmal hatte sich sein Mißtrauen schönen Frauen gegenüber bestätigt. Man be- hauptete, daß keine Frau Denton widerstehen könnte. Cleo hatte es nicht gekonnt. Wieso hatte er geglaubt, Rachel wäre anders?
Ihre schmeichelhafte Aufmerksamkeit heute abend war genau das, was Tony gesagt hatte: eine Scharade, um ihm einen Heirats- antrag zu entlocken. Wie Cleo auch, wollte Rachel seine Herzogin und Tonys Geliebte werden.
Es war, als hätte man ihm ein Messer mitten ins Herz gestoßen.
12. KAPITEL
Rachel stand neben Gentleman Jacks Bett. Gott sei Dank, er war endgültig außer Gefahr.
Sam Prentice hatte nach ihr geschickt, als das Fieber des Straßenräubers wieder gestiegen war und eine Lungenentzün- dung drohte. Doch in den drei Stunden, seit sie mit Sam zum Kavaliershaus gekommen war, war das Fieber dank ihrer Bemü- hungen wieder gesunken. Die Brustumschläge hatten gewirkt, und der Husten hatte sich gelöst.
Rachel hatte auch die Beinwunde noch einmal untersucht. Sie war sauber, und die Heilung machte gute Fortschritte.
„Bevor ich gehe, mache ich Ihnen noch einen Schlaftrunk‚, sagte sie und nahm die Zutaten aus ihrer Ledertasche.
Während Rachel den Kräutertee aufbrühte, hoffte sie, daß ihr Heimweg einfacher sein würde, als von Wingate Hall fortzukom- men. Nachdem Kerlan ihr im Salon die Botschaft der Köchin überbracht hatte, hatte Rachel größte Mühe gehabt, sich von Tony Denton loszueisen.
Er hatte behauptet, ihr etwas äußerst Wichtiges mitteilen zu müssen, und hatte sie in eine Zimmerecke genötigt, um sie wort- reich vor dem Duke of Westleigh zu warnen. Er hatte von dessen schlechtem Ruf berichtet, von seiner Gewohnheit, heiratsfähigen jungen Damen das Herz zu brechen und nicht einmal Verlobun- gen als bindend anzusehen. Der lebende Beweis dafür sei die un- vergleichliche Cleopatra Macklin, die er hatte sitzenlassen.
Wie konnte Rachel hoffen, bei ihm mehr Glück zu haben als all die anderen? Als der Herzog ihr dann auch noch diese völlig überraschende Frage stellte, war sie viel zu bekümmert und ver- legen, um ihm die Wahrheit zu gestehen.
Nachdem sie das Haus verlassen hatte, erfuhr sie auf dem Weg zu den Stallungen von Sam, daß sie um ein Haar mit Anthony Denton zusammengetroffen wäre. Da wußte Rachel, daß Tony wieder zu der hübschen kleinen Dienstmagd vom „White Swan
Inn‚ geritten war, die er besuchte, wann immer er nach Wingate Hall kam. Tony war nicht besser als ihr verstorbener Großvater.
Als Rachel dem Straßenräuber den Schlaftrunk brachte, er- leuchtete ein Blitz das Zimmer, gefolgt von einem so lauten Don- nerschlag, daß sie zusammenfuhr.
„Der Blitz muß ganz in der Nähe eingeschlagen haben‚, sagte Gentleman Jack.
Es folgte ein zweiter, dann ein dritter. Und es wurden immer mehr, alle
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