Marlene Suson 1
verantwortlich war. Bei Gott, das würde er!
Ein Schatten glitt in den Lichtkreis, den die Kerzen auf dem Nachttisch warfen.
Es war Rachel, so schön wie immer, doch eindeutig nervös und verunsichert. Hastig glitt sein Blick über sie hin. Ihre Frisur war in Ordnung und die Kleidung auch. Sie machte nicht den hy- sterischen, aufgelösten Eindruck einer Frau, der Gewalt angetan worden war. Er stieß einen erleichterten Seufzer aus.
Sie beugte sich über ihn und berührte seine Wange.
„Endlich sind Sie wach.‚ Ihre warme, besorgte Stimme war wie eine Liebkosung. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht.‚
„Wie spät ist es?‚ flüsterte er.
„Fast Mitternacht.‚
Wieder grollte der Donner, diesmal schon etwas näher.
„Wer ist noch hier?‚
„Niemand‚, gab Rachel zurück. „Wir sind allein.‚
„Warum, zum Teufel, stehen Sie dann so herum?‚ fuhr er sie mit erhobener Stimme an. „Binden Sie mich los. Wir haben keine Zeit zu verlieren.‚
Ihr liebliches Gesicht wirkte bekümmert. „Ich fürchte, das kann ich nicht.‚
„Wieso nicht?‚
Sie schluckte. „W ... weil ich Sie entführt habe.‚
Für ein paar Sekunden war Jerome sprachlos und starrte sie nur an. Ängstlich hielt sie seinem Blick stand, ein unsicheres Lä- cheln auf den Lippen.
„Sie haben was?“ keuchte er. „Weshalb sollten Sie so et- was tun?‚
Ihre Wangen färbten sich rosig. „Ich will Sie heiraten.‚
Sein Herz machte einen – völlig unangebrachten – Freuden- sprung. Doch gleich darauf kam er wieder zu Verstand. Gewiß erlaubte sie sich nur einen Spaß mit ihm, aber der ernste Blick ihrer blauen Augen verriet des Gegenteil. War das zu fassen?
„Was für eine unvergleichliche Art, einen Heiratsantrag zu ma-
chen‚, spottete Jerome. „Sie glauben doch wohl nicht, daß ich ihn annehme?‚
Tapfer erwiderte Rachel seinen Blick. „Sie werden keine an- dere Wahl haben. Wenn wir die Nacht miteinander verbracht ha- ben, werden Sie dazu gezwungen sein. Wie auch Lucinda Quincy gezwungen war, diesen fürchterlichen Phillip Rutledge zu hei- raten.‚
„Sie haben tatsächlich den Verstand verloren‚, erklärte Jerome aus tiefster Überzeugung. „Und jetzt binden Sie mich sofort los, verdammt noch mal!‚
„Tut mir leid, aber das wage ich nicht.‚
Seit dem Tode seines Vaters war Jerome der Duke of Westleigh, ein Mann, der in jeder Situation Herr der Lage war. Jetzt plötzlich befand er sich in einer verkehrten Welt. Da lag er als hilfloser Gefangener einer schönen, skrupellosen Frau, die offenbar vor nichts haltmachte, um ihr Ziel zu erreichen.
Ein so heftiger Zorn wallte in ihm auf, daß er für einen Auen- blick das Gefühl hatte, blind und taub zu sein. In seinem ganzen Leben war er noch nicht so wütend gewesen.
Denn in diesem Augenblick kam ihm die Bedeutung seiner Lage voll zum Bewußtsein. Sie waren schon seit mehreren Stun- den hier. Da er und Rachel beim Dinner gefehlt hatten, war man gewiß bereits auf der Suche nach ihnen. Jeden Augenblick konnte jemand hier auftauchen.
Er schauderte bei dem Gedanken, in dieser schmählichen Lage entdeckt zu werden – entführt und ans Bett gefesselt, und nicht etwa von einer Verbrecherbande, die ihn überwältigt hatte, son- dern von einem ,hilflosen’ jungen Mädchen.
Und er Idiot war ihr wie ein Narr in die Falle getappt.
Wenn man ihn hier in dieser beschämenden Lage fand, würde ganz England über ihn lachen. Das würde er nicht überleben.
Es war eine Demütigung ohnegleichen, daß er, der zwölfte Duke of Westleigh, Sproß einer langen, ruhmreichen Ahnenreihe, so der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. Der berühmt-berüch- tigte Stolz der Parnells bäumte sich mit aller Macht in ihm auf. Das würde er ihr nie verzeihen! Er würde sie eher töten, als sie zu heiraten!
Der Donner grollte jetzt schon sehr nahe, doch Jerome bemerkte es kaum in seiner Wut. In diesem Augenblick haßte er Rachel mehr, als er je einen Menschen gehaßt hatte. Sie war nicht nur ein weiteres Beispiel für die große Schar verlogener Frauenzimmer
– o nein, sie war das heimtückischste, teuflischste, boshafteste Weibsstück, dem zu begegnen er je das Pech gehabt hatte!
Gegen sie war Cleo Macklin ein tugendhafter Klosterzögling.
In seiner hilflosen Wut riß Jerome wie ein Wilder an den Fes- seln. Vergebens, sie waren zu fest gebunden. Der einzige Erfolg war, daß er seine Gelenke blutig scheuerte.
„Bitte, hören Sie doch auf!‚ rief Rachel mit tränenerstickter Stimme und
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