Marlene Suson 1
Flasche und Glas klirrten. Ver- dammt, jetzt mußte er auf seinen Bruder warten, und war noch dazu mit Rachel allein in diesem einsamen Haus.
Sie war ihm ins Schlafzimmer gefolgt, und bei ihrem Anblick verfinsterte sich sein Gesicht.
„Was ist geschehen?‚ fragte Rachel.
Er reichte ihr den Zettel. „Lesen Sie selbst.‚
Sie tat es. Dann hob sie den Kopf und sah ihn neugierig an. „Was bedeutet ,M’?‚
Demnach hatte Morgan ihr seinen richtigen Namen nicht ver- raten. Gott sei Dank. „Das bedeutet ,Monsieur’.‚ Auf ihren un- gläubigen Blick hin log er: „Ich glaube, Gentleman Jacks Vater war Franzose.‚
Jerome unterdrückte ein Grinsen, als er an seinen Vater dachte, der mit Leib und Seele Engländer und auf seinen makellosen Stammbaum außerordentlich stolz gewesen war. Er mußte sich bei dieser Lüge im Grabe umdrehen!
„Monsieur wird sicher gleich kommen‚, sagte Rachel tröstend. Sie schenkte Jerome ein Lächeln, dieses bezaubernde Grübchen- lächeln, das ihn ganz verrückt machte.
Er schluckte und griff nach der Cognacflasche. In der Hoffnung, daß Morgan bald auftauchen würde, zog er den Korken heraus und schenkte sich großzügig ein.
Als er Rachel ebenfalls von dem Cognac anbot, verzog sie das Gesicht. „Nein danke, ich mache mir lieber einen Tee in der Küche.‚
Jerome nippte an dem Glas und rollte den Brandy im Mund, bevor er ihn hinunterschluckte. Es war, wie Morgan versprochen hatte, ein sehr feiner französischer Cognac. Typisch für seinen Bruder.
Jerome folgte Rachel in die Küche. Sie zog die Jacke aus. Er betrachtete ihren reizvollen Körper, als sie sich nach der Teedose im Regal streckte. Wieder stieg Verlangen in ihm auf. Er nahm einen großen Schluck Cognac, der wirklich ausgezeichnet war, allerdings einen eigenartigen Nachgeschmack hatte.
Rachel ging zum Feuer, über dem ein Kessel mit kochendem Wasser hing. Jerome stand seitlich von ihr, und als sie sich vor-
beugte, um Wasser in die Teekanne zu schöpfen, drängten ihre vollen Brüste gegen den dünnen Stoff ihres Kleides. Er erinnerte sich daran, wie gut sie sich unter seiner Hand angefühlt hatten.
Hastig nahm er noch einen großen Schluck.
Graziös und anmutig bewegte sie sich durch die Küche. Sie war die personifizierte Versuchung. Hoffentlich kam Morgan bald zurück!
Jerome gähnte und sprach wieder dem Cognac zu. Er konnte die Augen kaum noch offenhalten. Wenn Morgan nicht endlich kam, würde er noch einschlafen.
„Sie wirken erschöpft‚, sagte Rachel und wies mit der Hand zum Schlafzimmer. „Legen Sie sich doch ein wenig aufs Bett, während wir warten.‚
Das war keine schlechte Idee und hatte außerdem den Vorteil, daß er aus Rachels Nähe kam.
Er ging in das große Schlafzimmer, zog Reitrock und Stiefel aus, legte das Jabot ab und sank aufs Bett. Im nächsten Augenblick war er eingeschlafen.
Jerome hatte Mühe, wach zu werden. Seine Lider waren blei- schwer, und er fühlte sich wie gerädert. Draußen war es dunkel geworden, und neben ihm auf dem Nachttisch brannten Kerzen in einem dreiarmigen Leuchter.
Im ersten Augenblick wußte er nicht, wo er sich befand. Er schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären. Was war nur los mit ihm?
Irgendwo in der Ferne hörte er leises Donnergrollen. Allmäh- lich kam ihm zum Bewußtsein, wo er war. Herrgott, er mußte ja stundenlang geschlafen haben! War Morgan schon hier und war- tete darauf, daß er wach wurde?
Jerome versuchte sich aufzusetzen, doch Arme und Beine woll- ten ihm nicht gehorchen. Verwirrt versuchte er, die Hände zu be- wegen, die in unnatürlicher Stellung über seinen Kopf gestreckt waren, und spürte plötzlich den Druck von Stricken an seinen Handgelenken. Er wollte die Knie anziehen und spürte auch an den Fußgelenken den gleichen Druck.
Jetzt war er hellwach. Er hob und drehte den Kopf so gut er konnte, und seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich: Seine Hände und Füße waren an die Bettpfosten gefesselt!
Hölle und Verdammnis! Er war ein Gefangener!
Aber wessen Gefangener? Und zu welchem Zweck?
Er war hergekommen, weil Morgan ihn gerufen hatte, doch nie hätte sein Bruder ihm so etwas angetan. Dessen war er sicher.
Und wo war Rachel? Gott im Himmel, hatte man sie auch über- wältigt und ... Ihm wurde ganz elend bei dem Gedanken, was ihr zugestoßen sein könnte. Kalte Mordlust stieg in ihm auf. Er mußte einen Weg finden, um sich zu befreien, und dann würde er denjenigen umbringen, der dafür
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