Marlene Suson 1
Jerome mich immer vor Vater in Schutz genommen. Er hat mir die Liebe gegeben, zu der mein Vater nicht fähig war. Wenn es einen Mann gibt, der ein wenig Glück verdient, dann ist er es. Und ich glaube, Sie sind die Frau, bei der er es finden kann.‚
„Ach, wenn er das doch auch glauben würde‚, seufzte Rachel sehnsüchtig.
„Hören Sie, Rachel, es war mir ernst, als ich sagte, daß Jerome viel für Sie empfindet. Aber er kann es einfach noch nicht zuge- ben, nicht einmal vor sich selbst. Doch das wird sich ändern.‚
„Und wenn Sie sich irren?‚ Eine eisige Hand preßte Rachels Herz zusammen.
„Es liegt nur bei Ihnen, ihn zu überzeugen.‚
„Aber wie?‚ Sie teilte Morgans Optimismus nicht.
„Seien Sie einfach nur Sie selbst. Irgendwann wird Jerome ent- decken, daß er Sie viel nötiger braucht, als er bislang glaubt.‚
Und wenn nicht?
20. KAPITEL
Als die Kutsche vom Yorker Münster wegfuhr, kam Rachel zu dem Schluß, daß für den Duke of Westleigh praktisch nichts unmöglich war.
Ihre Trauung, zum Beispiel. Obwohl es fast Mitternacht war, als sie die Kirche erreichten, war man dort nur allzu gern bereit, den Herzog mit der Heiratslizenz zu versorgen, die eine sofortige Trauung selbst zu dieser ungewöhnlichen Zeit ermöglichte. Die kurze Zeremonie war Schlag Mitternacht beendet und wurde getreulich im Heiratsregister eingetragen.
Falls die geistlichen Herren sowohl des Herzogs überstürzte Eile, in den Ehestand zu treten, als auch das schlichte Gewand der Braut sonderbar fanden, so ließen sie sich doch nichts davon anmerken. Jedenfalls nicht bis zur Abfahrt der Hochzeitsgesell- schaft, die aus dem Brautpaar, dem Bruder und dem Reitknecht des Herzogs und dem Hund der Braut bestand.
Rachel und ihr frisch angetrauter Gemahl teilten sich die Kut- sche mit Maxi, der prompt auf dem gegenüberliegenden Sitz ein- geschlummert war. Morgan und Ferris begleiteten die Kutsche zu Pferde.
Als sie York hinter sich gelassen hatten, sagte Jerome: „Wir werden die Nacht auf Parnlee verbringen und morgen früh nach Royal Elms aufbrechen.‚
Die Erinnerung an das kurze Zwischenspiel auf Parnlee ließ Rachels Herz schneller klopfen. Heimlich betrachtete sie das ebenmäßige Profil ihres Mannes. Ob sie wollte oder nicht, sie hatte sich in diesen schwierigen, rätselhaften Mann hoffnungslos verliebt. Und nun war er ihr Gemahl, in guten wie in schlechten Tagen. Möglichst in guten, hoffte sie, und ihr Herz bebte bei dem Gedanken.
Ein paar Minuten lang fuhren sie schweigend dahin. Man hörte nur das Rütteln und Rumpeln der Kutsche und ab und zu den Schrei eines Nachtvogels.
Nach einer Weile sagte Jerome: „Ich muß noch ein Hoch- zeitsgeschenk für dich besorgen. Was wünschst du dir? Ju- welen?‚
Was sollte sie mit Juwelen? Sie beschloß, ihn um etwas zu bit- ten, das ihr wirklich am Herzen lag. „Das einzige Geschenk, das ich mir wünsche, ist eine Nachricht über das Schicksal meines Bruders Stephen.‚
„Ist das dein Ernst?‚ fragte Jerome ungläubig.
„Voll und ganz. Wenn du erfährst, was mit Stephen geschehen ist, wird mich das viel glücklicher machen als alle Juwelen der Welt.‚
„Ich werde sehen, was ich tun kann‚, gab er achselzuckend zurück. „Doch ich fürchte, es werden keine guten Nachrich- ten sein.‚
Sie zuckte unter seiner Offenheit zusammen, und sie konnte nicht verhindern, daß ihr die Tränen in die Augen traten.
Hastig sagte Jerome, wobei er sich bemühte, einen leichteren Ton anzuschlagen: „Vielleicht ist Stephen auch nur unterge- taucht und wartet ab, bis dieses unmögliche Frauenzimmer, mit dem er verlobt ist, sich einen anderen gesucht hat.‚
„Ich muß gestehen, daß ich auch nicht begreife, weshalb mein Bruder Fanny heiraten wollte. Ich hatte den Eindruck, daß er gar nicht . . . ‚
Verlegen brach sie ab, und Jerome vollendete den Satz für sie. „ . . . in sie verliebt war? Das war er gewiß nicht. Ich glaube, ihre größte Anziehungskraft bestand für ihn in der Macht ihres Vaters.‚
„Was?‚ fragte Rachel betroffen.
„Lord Stoddard, ihr Vater, hat großen politischen Einfluß‚, erklärte Jerome mit einem zynischen Unterton. „Eine Verbin- dung mit Stoddard wäre höchst vorteilhaft für jeden Mann – selbst für einen Earl.‚
Rachel war ehrlich schockiert. Sie hätte nie für möglich ge- halten, daß ihr Bruder sich bei der Wahl seiner Frau von solchen Gründen leiten ließ.
Ihre Reaktion überraschte Jerome ganz offensichtlich. „Du
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